Herma P., die seit ihrer Geburt in Pinneberg lebt, erzählt über positive und negative Veränderungen, wie sie den zweiten Weltkrieg miterlebt hat und sonstige interessante Dinge über Pinneberg, die nicht jeder kennt.

Pinneberg aus der Luft.

Pinneberg- woran denkt man dabei als erstes? Die Dingstätte? Die Drostei? Die Wasserski- Anlage? Oder das Cap Polonio? Pinneberg, das in historischen Quellen 1200 das erste Mal erwähnt wurde, hat sich in den 88 Jahren, an die sich Herma P. erinnern kann, grundlegend verändert. Wer hätte gedacht, dass es früher ein Amtsgericht und ein Rathaus in der Bahnhofsstraße gegeben hat? Beides wurde vor langer Zeit abgerissen. Allerdings ist der VfL schon immer der führende Sportverein in Pinneberg gewesen. Die Wasserski-Anlage mitsamt Beachclub entstand in den 30er Jahren durch den Reichsarbeitsdienst – ursprünglich als Badesee. Aber wer konnte auch wissen, dass so etwas irgendwann einmal nicht mehr „in“ genug war, und eine Wasserski-Anlage daraus gemacht werden musste?
Die Bahnlinie, die uns heute erfreulicherweise direkt mit Hamburg verbindet, wurde etwa  1840 gebaut und teilte Pinneberg.

Die Bahn teilte Pinneberg brutal!

Früher kam man nicht direkt über die Bahn, sondern musste an einer Bahnschranke warten – zum dauernden Ärger der Anwohner. Meist kamen nur 4 Autos oder weniger über die Gleise, bevor schon der nächste Zug heranrollte. Nur die Fußgänger hatten es angenehmer, denn den Fußgängertunnel beim Bahnhof gab es schon. Da freut man sich heutzutage direkt über die laute, stinkende und nicht besonders schöne Hochbrücke.
Die Dingsstätte war schon immer die Einkaufsstraße, früher allerdings mit Kopfsteinpflaster,  und der  zentrale Ort zum Einkaufen. An der Stelle vom heutigen Kunstmann gab es etwas, worauf die Pinneberger jetzt verzichten müssen – ein Kaufhaus namens Hansen und Limburg. Anders als heute, wo die Pinneberger Fußgängerzone von Billig-Friseuren, Bäckern, Klamottenketten und Handyläden überschwemmt wird, gab es noch Gemüseläden, Käsefachgeschäfte, Fahrradläden und vieles andere.
Die Einkaufsmöglichkeiten erstreckten sich vom Lindenplatz bis zum heutigen Kunstmann. Glindmeyer ist das einzige Geschäft, das es fortlaufend seit der Kindheit unserer Pinnebergerin gibt- und der Ort, an dem sie auch ihre Ausbildung absolviert hat.

Die Drostei als Sitz der SA

Auch hatte die Pinnau früher eine wesentlich bedeutendere Rolle als heute: Über sie wurde Pinneberg mit Lebensmitteln versorgt. Zum täglichen Markt kamen Boote, unter anderem mit Äpfeln, aus dem Alten Land. Es gab damals einen Brückenzoll, nach dem früher die Kneipe an der Ecke bei der Tanzschule Leseberg benannt war. Andererseits fuhren auch viele Pferdewagen aus den umliegenden Dörfern nach Pinneberg, um Lebensmittel zu verkaufen. Der Marktplatz mitsamt Jahrmarkt stand auch schon immer da, wo er jetzt ist.
Die Familien waren damals sehr viel ärmer. Jeder, der über ein größeres Grundstück verfügte, nutzte dieses, um sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen – durch Kleintierhaltung sowie durch Landwirtschaft, besonders Kartoffeln wurden angebaut. Was fehlte, z.B. Brot oder Milch, kaufte man bei einem der umliegenden Bauernhöfe.
Herma P. lebte in so einer typischen Großfamilie: Mit ihren 4 Geschwistern wohnte sie in einem Haus, indem die 1. Etage noch vermietet wurde.
„Die Mädchen und die Jungen teilten sich jeweils ein Zimmer.“
Allerdings hatten sie schon eigene Betten. Trotzdem gab es nur sehr wenig Platz pro Person, anders als heute. Ihre Großeltern wohnten nicht mit in dem Haus, sondern hatten ein eigenes Haus am Damm. Dort stand oft den ganzen Tag über Essen auf dem Herd, wie Hafergrütze, ein typisches „Armeleuteessen“. Im Fahlt gab es einen Ort, an dem sich die alten Menschen wie ihr Opa trafen und über ihren Tag schnackten, die sogenannte „Katzenkuhle“. Dort musste sie ihren Opa oft zum Essen abholen.
Eine besondere Kindheitserinnerung ist, als ihr Nachbar beim Mähen eines Roggenfeldes hinter ihrem Haus aus Versehen ein brütendes Rebhuhn tötete. Die nun leider übrig gebliebenen Eier wurden einer Henne von Herma P. „untergejubelt“, die sie auch brav ausbrütete. Allerdings war die Henne völlig überrascht und schockiert, als sie auf einmal kleine aufgescheuchte Rebhühner um sich herum hatte, die sie auch noch für ihre Mutter hielten.

Durchschnittlich wurden zwei eigene Schweine im Jahr geschlachtet, was jedes Mal ein Festessen bedeutete. Natürlich wurde der größte Teil davon eingelagert. Auch viele andere Lebensmittel, besonders Obst, wurden von den Frauen eingekocht und somit haltbar gemacht.

Die Häuser besaßen nur eine Wasserpumpe auf dem Hof und ein Plumpsklo im Garten. Erst 1942 wurde das Haus von Herma P. an das allgemeine Wassernetz angeschlossen – für Pinneberg ein Meilenstein in seiner Entwicklung. Genauso wie die Leute damals auf fließend Wasser verzichten mussten, gab es auch kein Radio oder andere Medien. Erst der Boxkampf des gefeierten Max Schmelings in Amerika war Grund für den Kauf eines Radios – die Wut über den Kauf des Radios nach der Niederlage folgte auch prompt.
Anders als heute gab es damals nur 3 Schulen, 2 Volksschulen in Pinneberg Nord und im Kirchhofsweg und eine Mittelschule in der Lindenstraße, die allerdings Geld kostete und es somit nur sehr wenigen Kindern möglich war, sie zu besuchen. Wer auf eine Oberschule (heute: Gymnasium) gehen wollte, musste mit dem Fahrrad bei jedem Wetter nach Uetersen oder Elmshorn fahren.
Im Zweiten Weltkrieg erlebten die meisten Pinneberger zum Glück keine Bombenangriffe, nur ein einziges Mal fielen verirrte Brandbomben in ein Geschäft. Die Nachbarstädte Wedel und Elmshorn wurden viel schwerer getroffen.

Dingstätte

Nach Herma P.s Abschluss auf der Volksschule machte sie, wie oben schon berichtet, eine Ausbildung bei Glindmeyer. Als sie diese gerade abgeschlossen hatte, wurde sie zum Kriegsdienst verpflichtet. Sie musste ihre Arbeit bei Glindmeyer aufgeben und arbeitete  in der ILO-Fabrik, die Kriegsmaterialien produzierte und deren Gebäude es heute noch gibt. Trotz des Arbeitsdienstes, welchen jedes Mädchen damals verrichten musste, z.B. auf einem Bauernhof zu arbeiten, wurde somit noch ein weiter „Zwangsarbeitsdienst“ eingeführt, aufgrund der fehlenden Arbeitskräfte.

In der ILO-Fabrik mussten neben den normalen Beschäftigten auch Kriegsgefangene bzw. Zwangsverschleppte aus Osteuropa unter sehr harten Bedingungen arbeiten. Unter anderem auch ein junger Russe namens Nicolai, der knapp 16 Jahre alt und unterernährt war. Herma P., die zu dieser Zeit ca. 20 Jahre war, begegnete ihm immer wieder auf der Arbeit und sah mit an, wie er immer blasser und dünner wurde. Trotz möglicher schwerer  Strafen schleuste sie mit Hilfe ihres Chefs, einem verdeckten Kommunisten, Essen in die ILO-Fabrik für den Kriegsgefangenen. Eine Hilfsleistung, auf die Haft im Konzentrationslager hätte folgen können und somit auch der Tod.
„Er sah so krank und ausgehungert aus, da konnte ich nicht wegsehen!“

Gerührt und dankbar nahm dieser das Essen entgegen und nutzte kurz darauf die Gelegenheit, sich zu revanchieren: Nach Kriegsende durften die Pinneberger und Deutschen allgemein mehrere Tage nicht aus ihren Häusern.

Pinneberg wurde zum Glück fast gar nicht von Bomben getroffen.

In dieser Zeit, als das Essen immer knapper wurde und man für jeden Bissen dankbar war, klopfte es plötzlich an der Tür von Herma P.s Wohnung. Nicolai stand vor der Tür und nahm sie mit zu einem Bäcker, der für die Kriegsgefangenen Brot backen musste. Unauffällig bekam sie zwei Brote, was in diesen Tagen eine Kostbarkeit war. Dies zeigt, dass Menschen selbst unter den grausigsten Situationen im Land ihrer Feinde trotzdem Freunde gewinnen können und ihren Dank zurückgeben. Sie hat ihn nie wieder gesehen und weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

2 Kommentare

  1. Ich finde es sehr interessant Pinneberg mal aus Zeitzeugensicht zu sehen!
    An das Amtsgericht in der Bahnhofstraße erinnere ich mich noch (im ähnlichen Stil wie die “überlebende” Christuskirche gegenüber) – nur mein ältestes Rathaus (weiß, an einem kleinen jetzt überbauten Platz) stand eher am unteren Ende der Lindenstraße da wo jetzt in dem “Kaufhausrest” (früher Kepa/Karstadt) viele kleine Geschäfte sind. Alle anderen global erfahrbaren Fakten der letzten 50-60Jahre stimmen mit meinen Erinnerungen überein.

  2. ein wirklich schöner Bericht.
    Endlich mal ein kleiner Einblick in die Geschichte Pinnebergs die eigentlich verschwiegen wird.
    Das Pinneberg quasi eine SA/SS-Hochburg war möchte wohl keiner mehr wissen,
    und auch über die Arbeitslager in Bostel und Quickborn bekommt man wenig Infos.

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