Die Arbeiter auf einem Offshore-Windpark in der Nordsee haben sich einen der härtesten und anstrengendsten Berufe ausgewählt. Warum bloß?

Der erste Besuch wurde abgesagt. Zu hoher Wellengang. Erst beim zweiten Anlauf legt der Katamaran des Helgoländer Fährunternehmens mit Kurs Alpha Ventus, Deutschlands erstem Windpark in der Nordsee, einem sogenannten Offshore-Windpark, ab. Die Sonne strahlt aus voller Kraft auf das rot-grüne Deck des Schiffes, das einige Ingenieure, Investoren aus der Wirtschaft, Touristen und Journalisten – darunter 16 Mitarbeiter einer chinesischen Nachrichtenagentur – zu Alpha Ventus chauffieren soll. Denn die Hamburger Landungsbrücken sind heute mehr als ein beliebtes Ausflugsziel. Sie sind Anlaufstelle, sie sind Treffpunkt. Für Väter, die Tochter und Sohn ihren Arbeitsplatz zeigen wollen. Für Angeber, die vielleicht schon morgen fragen werden: “Habt ihr jemals einen Offshore-Windpark besichtigt?”. Für Rentner, die das Hamburger Standard-Touristenprogramm schon rauf- und runtergebetet haben.

Stfitung Offshore Windenergie/DOTI,2009

Bilder vom Bau des Windparks Alpha Ventus

Die Reise zu Alpha Ventus ist keine gewöhnliche und man tut nicht schlecht daran dem Wort “Reise” das Attribut “Zeit” voranzustellen. Der Trip ist ein Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft, ein Weg von alt zu neu. Kurz bevor der Katamaran in Cuxhaven noch einen Zwischenstopp macht, gehen die Blicke nach rechts. Zum Kernkraftwerk in Brokdorf. Auch die mittlerweile abgeschalteten AKWs in Stade und Brunsbüttel passieren wir im Laufe der Reise. Deren Betreiber werden nicht gerne hören, was an Bord des Schiffes manch ein Verfechter der Erneuerbaren Energien jetzt gerade denken wird. Denn unser Ziel geht in die Zukunft. Windenergie auf der See soll den Löwenanteil eines Energie-Mix aus Erneuerbaren Energien in Deutschland ausmachen. Irgendwann einmal. Wenn das Problem gelöst ist, wie all der Strom zum Festland kommt und wenn das Problem gelöst ist, wie die Strommengen quer durch Land kommen und wenn das Problem gelöst ist, wer das alles bezahlt. Dann.

Alpha Ventus wird zu dem Zeitpunkt in seiner heutigen Form aber schon längst wieder von der Bildfläche verschwunden sein. Als Forschungseinrichtung installiert werden in vermutlich spätestens zwanzig Jahren die Krafträder ab- oder neugebaut werden. Schon längst ist der Windpark nicht mehr der Größte seiner Art. Zwölf Windturbinen mit einer Leistung von je fünf Megawatt wurden 45 Kilometer nördlich der Insel Borkum errichtet. Nachfolge-Windparks wie „BARD 1“, rund 100 Kilometer vor Borkum, weisen eine stolze Anzahl von 80 Turbinen auf.

Offshore-Insel Helgoland

Trotzdem reichen allein die zwölf Turbinen aus, um bis zu 50.000 Haushalte auf dem Festland zu versorgen. Die Bauteile verfügen über gewaltige Dimensionen. Der Rotorendurchmesser der Anlagen liegt bei 116 bzw. 123 Metern. Monumental ist auch die Höhe. Knapp 150 Meter ragen die Anlagen aus der Nordsee heraus. 28 Meter kommen unter Wasser hinzu. Und nochmal 50 Meter tiefer gehen Pfähle zur Befestigung in den Meeresboden.
Zurzeit befinden sich gerade einmal vier Windparks in der Nordsee in Betrieb. Weitere zehn sind im Bau. Knapp 50 durchlaufen zurzeit ein Genehmigungsverfahren. Offshore-Boom in der Nordsee! Besonders große Freude darüber kann man zurzeit im Rathaus Helgoland auffinden. Auf der Insel sind die Touristen-Besucherzahlen seit Jahren rückläufig. Der Offshore-Boom kommt da gerade recht. Für die Wirtschaft bieten sich enorme Chancen. Investoren kommen mit viel Geld zu Deutschlands einziger Hochseeinsel.

Drei Windparks nördlich von Helgoland sollen in Zukunft von Helgoland aus betreut werden. Bei Not- oder Ausfallen können diese von der einzigen Insel des Kreises Pinneberg schneller erreicht werden als vom Festland aus.
Für einige auf Helgoland geht das alles viel zu schnell, andere können die 150 neuen Arbeitsplätze, die geschaffen werden sollen, kaum noch erwarten und wieder andere können ihr Glück bereits jetzt schon nicht fassen.
Arne Weber ist Eigentümer des Designhotel atoll auf Helgoland. Was vor knapp 15 Jahren mit dem Wunsch nach mehr Touristen mit viel Pomp eröffnet wurde, beherbergt ab 2013 ausschließlich Offshore-Arbeiter. Das Energie-Unternehmen WindMW aus Bremerhaven reservierte alle Zimmer des Helgoländer Vier-Sterne-Hotel in den nächsten zehn Jahren.

Auf die liebevoll vom Hamburger Abendblatt genannte “Erste Offshore-Insel der Welt” geht es für uns erst einmal nicht. Wegen Entschärfung einer Fliegerbombe – im Zuge von Ausbauarbeiten des Hafens für die Offshore-Industrie entdeckt – fährt der Katamaran auf direktem Wege in Richtung Alpha Ventus.

Je weiter es aufs Meer hinausgeht, desto stürmischer wird die See. Ein Wetterumschwung ist nicht ungewöhnlich. Auch keiner von “heute Sonne, 30 Grad” zu “morgen Regen, Windstärke 12″. Eigentlich ist das auch unproblematisch. Die Nordsee ist nicht fürs Arbeiten bestimmt. Einige machen es hier trotzdem. Sie arbeiten für eine saubere Zukunft, für die Abschaltung diverser Atomkraftwerke, für die Umsetzung der Energiewende. Dabei sind Unwetter am Standort von Alpha Ventus keine Seltenheit. Ein starker Seegang bestimmt mitunter das Geschehen. Die Durchschnittswindgeschwindigkeit liegt bei 36km/h (Stärke 5). Gut für die Energieausbeute. Schlecht für das Wartungsteam.

	REpower 2009

Als Arbeiter auf einen Offshore-Windpark

Sicherlich es gibt weniger beneidenswerte Jobs. Bergarbeiter in der Asse wäre vielleicht so einer. Aber: Wind und Wetter ausgesetzt zu sein bedeutet mitunter auch Tage und Wochen auszuharren und sich zu langweilen, bevor es mit der Arbeit wieder losgehen kann. Wenn gearbeitet werden kann, stehen die Techniker unter Zeitdruck. Jeder zusätzliche Tag kostet. Der Arbeitsalltag ist hart. Ein Wartungseinsatz dauert den ganzen Tag. Abends fallen die meisten Techniker müde ist Bett. Und jederzeit kann das Wetter umschlagen. Dann sind die Techniker sind zum Warten verdammt. Wenn sie nicht rechtzeitig ausgeflogen werden konnten, müssen sie auch mal mehrere Tage bei Windstärke 12 ausharren. Zum Nichtstun verdammt, weil die Arbeit stilllag. Ein Helm ist Pflicht und eine umfassende Sicherheitsausbildung muss jeder Techniker absolvieren. Medizinischer Eignungstest, Sanitäterausbildung, Überlebenstraining, Helikoptertraining, um nur ein paar Kurse zu nennen, die ein Berufsanwärter zu belegen hat.

Speziell für die Arbeit auf der See wurde ein eigener Offshore-Sicherheitsanzug in orange entwickelt. Hin und wieder erzählen Arbeiter von Unfällen.

Kaum verwunderlich, dass es nicht selten passiert, dass ein Neuling schnell wieder das Handtuch wirft. Noch immer gibt es ganz wenig geschultes Personal. Eigene Studiengänge werden gerade erst eingerichtet und der demografische Wandel macht sich hier besonders stark bemerkbar. Fachkräftemangel hoch drei. Man merkt: Zur Arbeit auf einem Offshore-Windpark gehört eine große Portion Überzeugung. Nämlich die Überzeugung, dass das, was man macht, richtig ist und dass die Zukunft der Windenergie gehört. Mitunter muss man vielleicht etwas blauäugig durch Leben laufen und ausblenden, wenn große amerikanische Zeitschriften über “The Energiewende” lästern oder Politiker in Talkshows die Atomkraft verteidigen.

Somit ist es kein Wunder, dass diejenigen Arbeiter, mit denen wir sprechen konnten, von ihrem Job begeistert sind. Der komplette Bau von Alpha Ventus war ein Pionierprojekt. Die Planer von Deutschlands erstem Nordseewindpark konnten auf keine Schritt-für-Schritt-Anleitung zurückgreifen. Flexibilität stand an der Tagesordnung. Risiko war jederzeit mit von der Partie. Fünf Jahre ist der Baubeginn nun her. Drei Jahre dauerte es bis zur ersten Netzeinspeisung.

Einige Stunden nach Abfahrt tauchen die Windturbinen dann nicht wie erhofft am Horizont in den Weiten der Nordsee auf. Die Wellen wurden doch zu hoch, nach halber Strecke steuerte der Kapitän bereits wieder den Rückweg an. Vermutlich würden viele an Bord – wie bei einer Oase in der Wüste – ihren Augen sowieso nicht trauen. Kilometerweit nur Wasser. Rundherum nordseeblau. Salzduft in der Nase. Und mittendrin zwölf Windräder.
“Auch das Wartungsteam kann heute nicht herausfahren und sitzt nun für ein bis zwei Tage fest. Aber das ist Offshore! Dem Wetter sind wir alle ausgesetzt. Auch als Wirtschaftsminister Rösler vorige Woche Alpha Ventus besuchen wollte, musste die Fahrt auf halber Strecke abgesagt werden, weil sich das Wetter verschlechtert hat.”, erzählt Katharina Selinger, Pressesprecherin von Alpha Ventus.

Stattdessen unterhält sich dafür Andreas Wagner mit uns. Der Leiter der Offshore-Stiftung ist auch einer derjenigen, die überzeugt von ihrer Arbeit sind, denen man die Motivation bereits beim Zuhören anmerkt. Während der Katamaran wegen Entschärfung einer Fliegerbombe nicht den Hafen von Helgoland anlaufen kann, erzählt er mit hochgekrempelten Ärmeln von der Windenergie: “Alpha Ventus hat einen Stein ins Rollen gebracht. Eine Reihe von Windpark sind in Deutschland mittlerweile geplant, im Bau oder bereits fertiggestellt.”

Nicht nur für ihn, auch für Wissenschaftler sind Offshore-Windparks ein Glücksfall. Nie zuvor wurde solch eine Vielzahl von Daten in der Nordsee ausgewertet. Wie viele Schweinswale gibt es? Wo liegen noch alte Schiffswracks? Umweltbehörden und Verbände machen Druck, die Belastungen der Windparks auf die Um- und Tierwelt möglichst gering zu halten. Im gesamten Alpha Ventus-Bereich herrscht Fischerei-Verbot. Vielleicht auch deswegen entwickelt sich an den Fundamenten der Windkrafträder eine regelrechte Riffbildung – noch mehr Daten, die analysiert werden können.

Wartung und Betrieb werden Ingenieure auch noch in Zukunft vor große Herausforderungen stellen. Bei der Vision einer neuen, umweltfreundlicheren Energieversorgung.

Die Technik: So funktioniert ein Windpark

Lediglich eine Brise von Windstärke 3 reicht aus, damit sich die Rotoren in Bewegung setzen. Der Wind drückt nicht einfach nur gegen die Rotorblätter, sondern es kommt ein Auftrieb zustande (das gleiche Prinzip kommt an Flugzeugtragflächen zum Einsatz und sorgt dafür, dass der Flieger abheben kann). Dadurch dreht sich die Antriebswelle und gibt die Energie an einen Generator weiter, welche dort in elektrischen Strom umgewandelt wird. Durch dicke Kabel wird diese durch den Turm nach unten befördert und kann ins Stromnetz eingespeist werden.

3 Kommentare

  1. Ein wunderbarer Job :-)

  2. Bunte knete sagt:

    Ein wirklich toller Job in der Nordsee.

  3. Ich will auch und habe mich bei WindMW Beworben :)

Schreibe ein Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>