Wir stehen vor dem Eingang des Hotels “Europäischer Hof” und warten. Gleich werden wir einen Künstler der besonderen Art kennenlernen: Uwe Kolkmeyer. Er ist selbstständiger Karikaturist und Schnellzeichner und zeichnet überspitzte Porträts von Prominenten, Sportlern, Politikern, aber auch von ganz normalen Menschen. Auf großen Veranstaltungen oder Galas findet man ihn in der Menschenmenge und jeder, der will, kann sich von ihm zeichnen lassen. Zwei bis vier Minuten braucht er dafür im Durchschnitt. Leicht ist das ganz bestimmt nicht, schließlich muss jeder Strich genau sitzen.
Dann kommt der Anruf. Herr Kolkmeyer wartet in der Lounge auf uns und ist bereit, unsere Fragen an ihn zu beantworten. Mein erster Eindruck des Karikaturisten überrascht mich: Locker gekleidet mit einem bunten Hemd und einem gemusterten Anzug und einer Zigarette in der Hand – so hatte ich mir einen Schnellzeichner nicht vorgestellt. Nach den ersten Worten wird mir jedoch sehr schnell klar, dass dieser Mann wie geschaffen für diesen außergewöhnlichen Beruf ist. “Ich schätze, das ist irgendwie Veranlagung”, meint Kolkmeyer auf die Frage, wie er Karikaturist geworden ist. Er zeichne seit frühem Kindesalter mit Begeisterung, schon mit 12 Jahren durfte Uwe Kolkmeyer dank seines Lehrers auf eine Kunstschule gehen. Stillleben oder Pflanzen im Schulunterricht zu zeichnen fand er jedoch sehr langweilig, er bevorzugte schon immer lebendige Gesichter.
Nach der Schule studierte er zwei Semester lang Kunst an einer Fachhochschule, brach das Studium jedoch bald ab und eröffnete 1985 im Alter von 23 Jahren stattdessen eine Kneipe. Die freie Zeit vertrieb er sich damit, die Gesichter der Gäste zu karikieren (karikieren ist übrigens das Fachwort für die Tätigkeit eines Karikaturisten). Die Zeichnungen mit Kugelschreiber auf bloßen Bierzetteln hängte er an die Wand und trug damit zur Unterhaltung seiner Gäste bei. Ein Journalist der Hannover’schen Allgemeinen Zeitung war schließlich so begeistert davon, dass er ihm ein Jobangebot unterbreitete. Vier Jahre lang zeichnete Uwe Kolkmeyer lokale Karikaturen, die in der Zeitung abgedruckt wurden. Dort erst wurde ihm bewusst, dass sein Hobby des Schnellzeichnens auch eine berufliche Zukunft haben könnte. Uns sagt er heute, es gebe vielleicht ein Dutzend guter Schnellzeichner in Deutschland, jeder habe dabei seinen eigenen Stil. Konkurrenz gibt es also wenig. Und es spricht sich herum, wenn jemand gut in seinem Handwerk ist. So hat sich Herr Kolkmeyer ein breites Kontaktfeld erarbeitet und bekommt heute Aufträge von überall aus Deutschland. Über den Künstlerdienst vom Arbeitsamt schaffte er es schließlich, von diesem speziellen Beruf zu leben.
Um gute Karikaturen zeichnen zu können, muss man Menschen sehr genau kennen. “Da war meine Zeit in der Gastronomie natürlich ein super Sozialstudium.” Herr Kolkmeyer bezeichnet sich selbst als guten Menschenkenner, der viel aus den Personen herauslesen könne, ohne überhaupt mit ihnen gesprochen zu haben. Eine wichtige Voraussetzung für das Karikieren, schließlich soll sich der Kunde in seiner Zeichnung auch wiederfinden. Gerade bei Partys kennt er die vielen Gäste nicht und muss die Persönlichkeiten jedoch sofort erfassen. Viel erfährt er über die Körpersprache, aber auch über Reaktionen auf verschiedene Fragen, die er den Kunden vor der Zeichnung stellt. “Durch die Erfahrung habe ich manchmal schon fast hellseherische Fähigkeiten.” Zum Spaß rät er manchmal, welche Hobbies die Menschen haben. Tatsächlich habe er es bereits geschafft vier Treffer in Folge zu erzielen. Beobachten ist also das Essenzielle beim Karikieren. Es gibt allerdings auch Schwierigkeiten. Einige Gesichter seien sehr komplex und schwierig, auf wenige Striche zu reduzieren. Gerade deswegen ist laut Uwe Kolkmeyer das Karikieren die Königsdisziplin des Zeichnens. Die Striche eines Schnellzeichners seien sehr hart und daher eigneten sich am ehesten markante Köpfe – Gesichter mit Merkmalen, die sich gut in eine Zeichnung einbinden ließen und nicht zu übersehen seien. Anders als es in der Kunstschule gelehrt wird, beginnt unser Karikaturist mit der Nase im Halbprofil. Danach folgen die Augen und der Mund, Gesichtsumriss und Frisur seien eher nebensächlich. “Da interessieren auch die tatsächlichen Formen gar nicht so wirklich. Wichtig ist, dass man die Ausstrahlung von jemandem einfängt.”
Die meisten Menschen können über den leicht schwarzen Humor von Uwe Kolkmeyer lachen, doch er berichtet, dass er auch schon einmal einen Mann zum Weinen gebracht habe. Das ist die Sache mit der Selbstwahrnehmung. Wir haben ein Bild von uns, das nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt. Manche könnten es dann nicht wahrhaben, wie andere sie sehen. “Ganz oft höre ich bei Veranstaltungen: Komisch, jeden haben Sie gut getroffen, nur mich nicht.” In diesem Zusammenhang kommt oft Kritik, gerade auf Veranstaltungen. Unangebrachte Kritik kann Herr Kolkmeyer ignorieren, eine Fähigkeit, die nicht viele Künstler haben. Ein Grund, warum es nur wenige Menschen auf seinem Fachgebiet gibt. Konstruktive Kritik nimmt er jedoch immer gerne an, schließlich könne man ja nie auslernen.
Zufrieden ist Uwe Kolkmeyer mit seinen Karikaturen selten. Er betont jedoch, dass das gut sei, denn sonst würde er sich nicht weiterentwickeln. Allerdings gibt er auch zu, dass er ein sehr kritischer Mensch ist. Wenn er sich Karikaturen ansieht, die älter als drei Jahre sind, dann ist er oft am Verzweifeln. Das heißt natürlich nur, dass eine Entwicklung vorangegangen ist. Am kritischsten ist er mit der handwerklichen Umsetzung, dem eigentlich schwersten Punkt beim Karikieren. “Da kann man immer mehr draus machen.”
Trotz vieler künstlerischer Freiheiten bei Karikaturen gibt es einige Vorschriften und Regeln, an die man sich halten muss. Gerade in der Zeitung werden die Karikaturen erst abgenommen und geprüft, bevor sie abgedruckt werden. Eine Sicherheitsmaßnahme? Vielleicht. Für Herrn Kolkmeyer ist das schade, denn er meint, er habe den Hang zu leicht bösartigen Zeichnungen. Das kann gut ankommen, kann aber auch nach hinten losgehen. Seine Zeitungserfahrungen sowie ein Auftrag beim NDR Sportclub bestätigten ihn darin, sich nicht nach den Vorgaben anderer richten zu müssen. Also spezialisierte er sich auf Veranstaltungen. “Das ist ja alles Hofberichterstattung, alles langweilig”, sagt er und ist froh, mit seinen Veranstaltungen als Schnellzeichner frei von Vorgaben zu sein. Nur in expliziten Satireblättern findet man seiner Meinung nach noch interessante Karikaturen, da sie viel mehr Spielraum für bösen Humor schaffen. Bei seinen Schnellzeichnungen kann sich Uwe Kolkmeyer diese Form von Humor allerdings auch nicht erlauben. Selbst wenn er es manchmal zu gerne möchte.
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