von links: Philipp Wenzel, David Hock, Thomas de Mazière, Marc Pabst.

Nachdem uns zunächst der GDL-Streik um unsere ICE-Fahrt bangen ließ, ermöglichte uns der Ersatzfahrplan letztendlich aber sowohl Hin- und Rückfahrt problemlos. Als wir Herrn de Mazière dann schließlich in seinem Büro gegenübersaßen, hatten wir sofort das Gefühl, dass ihm daran gelegen war, unsere vorbereiteten Fragen in Ruhe und Konzentration zu beantworten. So wurde es ein ausgiebiges Gespräch:

Bevor es losging, blätterte der Minister zunächst durch unsere letzte Ausgabe.

Bevor es losging, blätterte der Minister zunächst durch unsere letzte Ausgabe.

Pressident: Herr de Maizière Es fällt ja sehr viel in Ihr Ressort. Wie oft kommt es denn gerade in diesen Tagen vor, dass Ihr Tagesplan durch ein wichtiges Ereignis komplett umgestellt werden muss?
Thomas de Mazière: Fast täglich. Vor wenigen Tagen kam es zu dieser schrecklichen Tragödie im Mittelmeer, die natürlich Folgen hatte. Am Montag fand die Sitzung der Außen- und Innenminister statt und am Donnerstag dann das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine war den ganzen Tag zu klären, was dieser Absturz für uns bedeutet, z.B. ob es sich um einen Anschlag handelt oder nicht. Es kommt also sehr oft vor, dass sich der Tagesablauf verändert. Mein Ministerium hat viel mit Sicherheit und auch internationalen Entwicklungen zu tun, wenngleich man Letzteres im  Innenministerium gar nicht so erwartet. Die Welt scheint im Moment aus den Fugen zu geraten. Natürlich muss ich meinen Tagesablauf da immer wieder umstellen.

Innenpolitisch sorgt die Aufnahme von Flüchtlingen für große Aufruhr: Brennende Asylbewerberheime, Morddrohungen gegen Bürgermeister, ein Landrat unter Polizeischutz: So mancher mag dieser Tage vielleicht Vergleiche zu Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen ziehen. Müssen wir in Deutschland Angst vor einer neuen Welle ausländerfeindlicher Ausschreitungen haben?
Ich hoffe nicht! Ich finde es ganz großartig, wie die große Mehrheit der Bevölkerung – anders als noch vor Jahrzehnten – die Flüchtlinge und Asylbewerber empfängt. Ganz viele Ehrenamtliche helfen. Das habe ich erst kürzlich in Schleswig-Holstein erlebt. Das ist wirklich großartig. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass es auch mehr Proteste gibt. Aber wenn es legitim ist, für oder gegen den Bau einer Umgehungsstraße oder Schule in der näheren Umgebung zu protestieren, dann darf man auch gegen ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft protestieren, aber dann müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden, denn die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine Aufgabe und Verpflichtung, die uns alle angeht. Übrigens ist nicht jeder Protest rechtsextrem. Das muss man ganz klar sagen, aber solche Proteste müssen gesittet und friedlich sein und dürfen nicht von Rechtsextremen missbraucht werden. Die Proteste dürfen auch nicht verhindern, dass alle in Deutschland dazu beitragen, Asylbewerber anständig unterzubringen.

Sie räumen also ein, dass man als Bürger protestieren und sich Sorgen machen darf. Eine kontroverse Frage ist die Unterscheidung zwischen berechtigten Sorgen und diskriminierendem Hass. Wo liegt Ihrer Meinung die Grenze?
Die Grenze liegt zwischen seriös vorgetragenen Protesten und Hass. Leider haben wir eine Zunahme der Verrohung von Sprache. Dazu trägt auch die Anonymität im Internet bei. Amtsträger wie Polizisten, Bürgermeister und Richter oder auch Journalisten werden zum Teil in unziemlicher Weise angegangen. Diesen Tendenzen der Verrohung müssen wir uns als Gesellschaft entgegenstellen. Sonst verlieren wir ein Stück unserer Zivilisation. Es ist wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen, höflich zu sein und sich die Hände zu reichen. Man muss Grundregeln des menschlichen Umgangs einhalten. Wenn wir das beim Protest vernachlässigen, dann kommen wir nicht mehr zu Kompromissen und Ergebnissen.

Sigmar Gabriel hat gesagt, jeder habe ein Recht darauf, deutschnational zu sein. Darf man dass, wenn man die von Ihnen angesprochene Höflichkeit beachtet?
Das sind zwei Ebenen. Höflichkeit und Gewaltverzicht sind konstitutiv für eine Demokratie. Es lässt sich auch leichter eine Protestveranstaltung durchführen, wenn die Menschen sich ausreden lassen. Es muss zudem klar sein, dass in einem Land Entscheidungen getroffen werden müssen. Wer demonstriert, hat nicht immer Recht. Es gibt Sorgen und Fragen, aber es kann auch in einer Demokratie vorkommen, dass etwas gegen eine Bürgerinitiative entschieden werden muss, zum Beispiel bei der Frage, wo ein Asylbewerberheim oder eine Straße gebaut wird. Dagegen gibt es Rechtsmittel, und man kann klagen. Aber Demokratie heißt nicht, dass alle immer miteinander streiten. Am Ende muss ein Ergebnis stehen. Nun zum Begriff „deutschnational“. Er kommt aus der Zeit der Weimarer Republik. Ich denke, man darf sich die Begriffe des Patriotismus und des Nationalstolzes und auch die wichtige Rolle von Nationalstaaten innerhalb der Europäischen Union nicht von Rechtsextremisten wegnehmen lassen. Ich persönlich verwende den Begriff „deutschnational“ nicht. Eine Vertretung nationaler Interessen in einem europäischen Verbund ist legitim und kein Problem. Eine Gesellschaft braucht Maß und Mitte. Sie muss zusammenhalten. Wenn die Zentrifugalkräfte in Deutschland stärker werden, müssen wir umso mehr daran arbeiten, sie zusammenzuhalten. Wer diesen Konsens verlässt, ist extrem.

Nun haben Sie den Extremismus schon angesprochen. Auch der Terrorismus ist eine Form davon. Im Februar gab es Terrorwarnungen in Braunschweig und Bremen. Arbeiten die deutschen Sicherheitsbehörden wirklich so gut, dass das Frühwarnsystem in Braunschweig und Bremen funktioniert hat oder war auch Glück dabei?
Der im Herbst ausgeschiedene Präsident des Bundeskriminalamts sagte, dass wir schon bei  einer ganzen Reihe von Anschlagsversuchen Schlimmeres durch gute Arbeit verhindern konnten, aber in drei oder vier Fällen haben wir einfach Glück gehabt. Das ist eine richtige Beschreibung, aber man kann nicht immer darauf bauen, dass man Glück hat.

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Vor Kurzem hat der Angriff auf die französische Sendergruppe TV5Monde dem Terrorismus eine neue, digitale Dimension gegeben. Inwiefern reagieren Sie aus deutscher Perspektive darauf und beschäftigen sich mit der Aufrüstung in diesem Bereich?
Die digitale Dimension gab es vorher schon in Form von Propaganda. Sie hat eine erhebliche Wirkung, insbesondere bei der Rekrutierung neuer Kämpfer für Auseinandersetzungen im Irak und Syrien. Das Internet spielt eine zentrale Rolle als Medium für Werbe- und Propagandabotschaften. Auch das Kapern von Internetdiensten durch Dritte gab es schon, jedoch bisher nicht durch Terroristen und nicht in dieser Ausprägung. Deshalb müssen die Betroffen an ihrer IT-Sicherheit arbeiten. Gerade beraten wir ein Gesetz im deutschen Bundestag, das IT-Sicherheitsgesetz- Hierbei handelt es sich um Vorgaben für einen sicheren Betrieb, damit solche Angriffe in Zukunft besser abgewehrt werden können.

Nach diesen großen Problematiken: In einem Imagefilm auf Ihrer Website sprechen Sie davon, dass Sie eigentlich nie Politiker werden wollten. Warum sind Sie es dennoch geworden?
Das hat sich so ergeben. Wenn jemand mit 16 oder 17 sagt, er möchte Berufspolitiker und später Bundesminister werden, dann würde ich mich eher ein bisschen vorsehen. Politiker wird man erst einmal dadurch, dass man sich für eine Sache interessiert oder einen Zustand verändern möchte, den man vorfindet und nicht, indem man ein Amt anstrebt. Wenn es darum geht, ein Politiker auf einer etwas höheren Ebene zu werden, so ergibt sich das. Man muss versuchen, einen vernünftigen Beruf zu erlernen und sich für etwas interessieren. Wenn man etwas kann, kommen die Ämter auf einen zu. Nicht umgekehrt.

Sie sind nun seit mehr als 40 Jahren politisch aktiv. Welches Ereignis hat Sie persönlich am meisten geprägt?
Die Mitarbeit bei der Deutschen Einheit. Das Jahr 1990 bis zum 3. Oktober war so exzeptionell, herausragend und ein Höhepunkt meiner Arbeit! Wann hat man schon mal die Gelegenheit, an der Geschichte mitzuwirken, einen Staat friedlich aus der Geschichte zu verabschieden und an der Einigkeit des eigenen Volkes mitzuwirken? Das werde ich sicher nicht vergessen.

Zum Abschluss dieses Interviews möchten wir nur noch eins wissen: Warum um alles in der Welt nimmt ein hochrangiger Politiker wie Sie sich Zeit für ein persönliches Gespräch mit drei zumindest noch so unbedeutenden Nachwuchsredakteuren wie uns drei?
Erstens kommt mein parlamentarischer Staatssekretär Ole Schröder aus Pinneberg, so dass mich eine Schülerzeitung aus seinem Heimatort einfach interessiert hat und zweitens, weil ich es gerne unterstützen möchte, wenn Schüler und Schülerinnen wie Sie Kraft und Mühe in eine Schülerzeitung stecken und sich dafür interessieren, was ein Politiker so macht. Sie könnten ja auch alle vor dem Computer sitzen und Ballerspiele spielen, in der Eisdiele sitzen oder Mathe pauken.

…Letzteres tun wir gewiss nicht.
(lacht) Ich finde Ihr Engagement für eine Schülerzeitungsarbeit lobenswert und möchte das gerne unterstützen.

Herr Minister, wir bedanken uns nochmals für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre weitere Amtszeit alles Gute.

von links: Philipp Wenzel, David Hock, Thomas de Mazière, Marc Pabst

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