Die beiden Studenten René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld hissten vor mehr als 60 Jahren eine deutsche Flagge auf Helgoland. Das Eiland war trotz Kriegsende noch von den Engländern besetzt und wurde als Truppenübungsplatz benutzt. Mit ihrer friedlichen und gefährlichen Demonstration lösten die Studenten eine politische Debatte aus, welche zur Rückgabe Helgolands an Deutschland führte. Eine geschichtliche Reise in die Vergangenheit.

Öffentlichkeitsscheu ist René Leudesdorff sicherlich nicht. Vor 20 Jahren veröffentlichte er ein eigenes Buch, die letzten Monate entdeckte man den 83-jährigen in vielen Zeitungen, vor kurzem eröffnete eine Ausstellung und auch als eine Gruppe von Touristen zufällig auf Leudesdorff trifft, ist der selbsternannte Befreier von Helgoland gerne bereit, sich den Fragen der neugierigen Personen zu stellen.

“Nie wieder Krieg! Nie wieder Waffen in deutschen Händen!”

Die Ursache für Leudesdorffs Bekanntheit liegt mittlerweile mehr als 60 Jahre zurück. Trotzdem kann er immer noch viele Details seiner Protestaktion von 1950 wiedergeben.

Die Geschichte des kleinen Helgolands in der Nachkriegszeit ab 1945 ist alles andere als gewöhnlich. Der Zweite Weltkrieg endet nicht im Jahre 1945 und die Insel wird noch jahrelang von der Luftwaffe aus Großbritannien bombardiert. Mehrere Festungsanlagen sprengt die britische Royal Air Force in die Luft. Helgolands ehemalige Einwohner werden auf das norddeutsche Festland evakuiert und warten seitdem auf eine Rückkehr in ihre Heimat und die anstehende Aufgabe des Wiederaufbaus.

Zwei Heidelberger Studenten wollen sich mit diesem Zustand nicht abfinden. “Nie wieder Krieg! Nie wieder Waffen in deutschen Händen!”, äußert sich René Leudesdorff bei einer Diskussion an seiner Universität. Neben Leudesdorff wird sich auch Georg von Hatzfeld auf die Expedition nach Helgoland wagen: “Machen wir was?” “Hinfahren?”, entgegnet sein Mitstudent. “Wann?”, “Sofort!”. Einige Wochen später trotzen beide Wind und Wetter und machen sich auf den Weg. Sie mieten in der Nacht auf den 20. Dezember einen Kutter, doch schon bald zeichnet sich ab, dass es erste Probleme gibt und sich die Abfahrt verzögert. Es ist nicht genug Pressluft vorhanden, um die Motoren anzutreiben – erst am nächsten Morgen starten die zwei Kommilitonen. Ihr Ziel: Eine friedliche Besetzung von Deutschlands einziger Hochseeinsel. Was sie nicht wissen, ist, dass in einen halben Jahrhundert Millionen von Menschen ihre Nachahmer in Deutschland sein werden. Dann allerdings aus anderem Grunde: Friedliche Proteste werden ganze Staaten zum Zerfall bringen.

“Bei Windstärke 6-7 mussten wir die Flagge zu dritt aufrichten, woraufhin einer dann aus dem Bild sprang und die Fotos gemacht werden konnten”

René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld können in der nachrichtenarmen Weihnachtszeit noch zwei Journalisten der Frankfurter Abendpost überzeugen, sich mit Ihnen auf den Weg zu machen. Die Zeitung wird später für die überregionale Bekanntmachung zuständig sein und schon bald so viel Druck auf die britische Regierung ausüben, dass Helgoland in einigen Monaten an Deutschland zurückgegeben wird.

Gegen Mittag des vierten Advents biegt das Schiff um den Südhafen Helgolands und trifft auf eine britische Besatzungstruppe, welche gerade von einer Inspektion auf dem Oberland zurückkommt. Für Leudesdorff und von Hatzfeld interessieren sich die Briten kaum, geben ihnen allerdings noch die Warnung mit, sie möchten doch bitte am Abend wieder von der Insel runter sein – es könnten neue Bombenangriffe kommen. Kein angenehmes Gefühl für die Studenten, welche noch die nächsten zwei Wochen auf Helgoland verbrigen wollen. In Wirklichkeit stoppen die Briten daraufhin jeglichen Luftangriff auf die Insel. Die friedliche Expedition nähert sich dem Abend des 4. Advents. Es ist zum Davonlaufen kalt, als Leudesdorff und von Hatzfeld auf dem ehemaligen Flakturm stehen. Der Theologiestudent ist mit einem Rollkragenpullower und einer dünnen Jacke bekleidet. Fast aussichtslos mühen sich beide, drei Flaggen in den Wind zu stemmen. Die Deutschland-Flagge, an der von Hatzfeld sehr gelegen ist, welcher sich für eine Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland einsetzt, eine Europaflagge auf Wunsch von Leudesdorff als Symbol für ein vereinigtes Europa und darunter noch eine kleine Helgolandfahne. Sie posieren vor zwei Redakteuren der Frankfurter Abendpost und lassen Bilder von sich machen über die bald ganz Deutschland sprechen wird. Nicht mal ein Fahnenmast lässt sich vorfinden, weswegen die Studenten ein langes Wasserrohr benutzen. “Bei Windstärke 6-7 mussten wir die Flagge zu dritt aufrichten, woraufhin einer dann aus dem Bild sprang und die Fotos gemacht werden konnten”, erzählt Leudesdorff heute.

Die völlige Zerstörung beschwert das Weiterkommen zu einem Bunker, welchen die beiden Studenten die nächsten beiden Tage als Schlafplatz nutzen werden. Bei Recherchen wird Leudesdorff in einigen Jahren feststellen, dass ein Weg dorthin über ein vermintes Feld mit unzähligen von Blindgängern führt. Mit großem Glück passiert nichts. Kurz vor Weihnachten setzt der Frost auf Helgoland ein, der Wind lässt die gefühlte Temperatur noch weiter sinken und es gibt für jeden nur eine einzige Decke, die genügen muss, um die Nacht einigermaßen unbeschadet zu verbringen. In der zweiten Nacht wickeln sich die Studenten zusätzlich in die Flaggen ein.

Die Besetzung Helgolands ist mittlerweile in vielen Zeitungen publiziert worden, sodass die Presseagenturen nicht lange auf sich warten ließen, die beiden Studenten zu besuchen. Zuerst kam die dpa, es folgte AP. Der Kutterkapitän warnte Leudesdorff und von Hatzfeld über ein bevorstehendes Unwetter. Blau gefroren und mit Pudelmütze stellen sie nach zwei Tagen fest, dass ihre Ausrüstung nicht mehr reicht. Das kurze Ende einer langen Versprechung?

Zurück auf dem Festland wartet bereits eine Schar an Fotografen und Redakteuren. Mit diesem überwältigen Empfang hat keiner gerechnet. Beide Studenten wollen mit neuen Vorräten und besserer Ausrüstung an Heiligabend bereits wieder nach Helgoland aufbrechen ohne ihre Rechnung mit dem Kutterkapitän gemacht zu haben. Die Britische Regierung droht mit dem Entzug des Patents für alle Kapitäne, welche Leudesdorff und von Hatzfeld auf die Insel bringen. Extra aus Brunsbüttel muss ein neues Schiff geordert werden, die erneute Besetzung verzögert sich um zwei Tage.

Die Faszination der friedlichen Besetzung geht auch auf einen jungen Bremer über, der nach dem Abbruch der Aktion die Befreiung Helgolands weiterführen möchte. Zwei Tage später, am 29. Dezember, schließt sich Hubertus Prinz zu Löwenstein, der zur Sicherheit gegen britische Bombenangriffe einen amerikanischen Studenten mitnimmt, an. Mit ihm gibt es einen Patentstreit. Leudesdorff kennt Löwenstein nicht, doch von Hatzfeld hatte kurze Zeit für ihn gearbeitet und dabei wohl auch seine Helgolandaufrufe gelesen. Sowieso ist es verwunderlich, dass nicht schon die Helgoländer selbst, welche als Fischer häufig im Bereich der Insel waren und ein sehr aktives “Büro Helgoland” betreiben, für eine Besetzung sorgen. Löwenstein reagiert sofort und reklamiert die Idee für sich. Sein begleitender Trupp aus Journalisten nimmt diesen Gedankenzug gerne auf.

Der Gruppe von Besetzern schließen sich immer mehr und mehr Menschen an. Die britische Regierung ist mit dieser Situation überfordert und erlässt ein eigenes Gesetz für die neuen Inselbewohner. Sie sollen mit Hilfe der Polizei die Insel verlassen – ganz so weit kommt es nicht, denn die Besetzer treiben es nicht auf die Höhe und erklären die Aktion für beendet. Sechs Wochen später beschließt der Verteidigungsausschuss des britischen Kabinetts die Rückgabe Helgolands binnen eines Jahres – bis zum 1. März 1952 – an Deutschland mit der nichtoffiziellen Begründung, sie müssten alternativ Gewalt anwenden, gegen friedliche Besetzungen gebe es keine Chance.

Weiterführende Links
http://www.museum-helgoland.de/
Geschrieben von Tim Kommentar schreiben
Das geht besser! Hmm, naja... Nett geschrieben. Guter Beitrag! Genial! ( 1 Bewertungen, Durchschnitt: 5,00 von 5)
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