Abschied von den Mädels meiner Lunchgruppe
Erfahrungsbericht eines Auslandsjahrs – der vierte, letzte Teil!
Mit dem Abschluss der offiziellen Cross Country Saison brach allmählich der Winter ein. Und was für einer. Die Temperaturen sanken rapide und als es erst einmal begonnen hatte, zu schneien, schien es nicht mehr aufzuhören. Da meine Leistung beim State Meet überzeugt hatte, schlug mein Coach vor, bei den Footlocker Regionals zu starten, einem weiteren Crosslauf, mit der Hoffnung auf die Qualifikation für die Nationals in San Diego in Kalifornien. So trainierte ich also bei den tiefsten Temperaturen mit drei Lagen Socken und Handwärmern in den Handschuhen, kämpfte mich durch kniehohe Schneestrecken und über eisglatte Straßen, nur um vier Wochen später im Flieger nach Kalifornien zu sitzen und mich auf einmal in 25 Grad warmen Wetter und Sonnenschein wiederzufinden.
Die Qualifikation war mir gelungen, doch ich wusste, dass mir die zwei Monate andauernde Wettkampftortur noch in den Beinen steckte. Als Siebte bei den Regionals qualifizierte ich mich für die Nationals und hatte nun einen unbegleiteten Flug mit Umstieg vor mir – und das auf einem anderen Kontinent. Wie ich später bemerkte, war ich jedoch fast die einzige, die so auf sich alleingestellt war. Die meisten Läuferinnen waren in Begleitung von Eltern, Coaches, Freunden oder ihrem ganzen Teamsgekommen. Etwas verloren versuchte ich verzweifelt, mein Selbstvertrauen bis zum Wettkampf aufrechtzuerhalten. Ich verstand mich gut mit meiner Zimmermitbewohnerin und bin auch noch heute mit ihr in Kontakt, doch das Konkurrenzverhalten war in der großen Gruppe deutlich zu spüren. So lief ich zwei Tage später kein überragendes Rennen und war zugegeben etwas enttäuscht über meinen 18 Platz. Die Nationals waren sicherlich eine außergewöhnliche Erfahrung, ich traf einige Topathleten Amerikas, man wurde mit riesigem Buffet verwöhnt und komplett von Asics ausgestattet, aber als ich wieder im verschneiten Chicago landete, fühlte ich mich endlich wieder zu Hause.
Der harsche Winter sollte bis zu meiner Abreise andauern. Ich blieb dabei, regelmäßig zu laufen und wollte mich nun schon auf die kommenden Wettkämpfe in Deutschland vorbereiten. So kam es, dass ich einige Male mein Tempotraining aufgrund des Schneechaos ins Fitnessstudio verlegen musste und mir, während das Laufband auf der höchsten Stufe ratterte und der Fernseher aufgrund der Erschütterung nur noch ein Standbild anzeigte, böse Blicke von den älteren Damen einfangen musste, die gerade ihr wöchentliches Gehprogramm absolvierten.
Die Zeit verging wie im Flug und meine Abreise rückte unglaublich schnell näher. Ich hatte das Glück, fast sämtliche Feiertage mitzuerleben: Thanksgiving, Weihnachten, Silvester und dazu kam noch mein 17. Geburtstag, den ich in diesem Jahr amerikanisch feierte. Ich habe ihn noch in Erinnerung, das Wetter hätte nicht schlechter sein können und mein Coach hatte für den Tag einen lockeren Lauf in einem Waldgebiet geplant, den wir aufgrund des Nebels und starken Regens aber abbrechen mussten. Meine Gastmutter Debbie hatte morgens das Wohnzimmer geschmückt und abends kam ihre ganze Familie vorbei, meine Gastmutter kochte mein Lieblingsessen, Brown rice mushroom burger and roasted corn, es gab Kuchen und massenweise Geschenke. Aufkommendes Heimweh wurde von dem Gefühl von Zugehörigkeit verdrängt und ich stellte glücklich fest, dass ich hier eine zweite Familie hatte.
Dann kam das Weihnachtsfest, alles war anders und es war wohl einer der schlimmeren Tage meines Aufenthaltes. So spießig es auch klingen mag, aber mit Weihnachten verband ich Besinnlichkeit und Ruhe und irgendwie lag etwas in der Luft, dass es in Amerika wohl nicht gab. Genauer gesagt: Es ging nur um das Essen und die Geschenke. Als es zur Bescherung kam, wurden die Geschenke aufgerissen und ein flüchtiges “Danke” gerufen, die Kinder kreischten und als dann der Alkohol fleißig ausgeschenkt wurde, verschwand auch das letzte Bisschen Weihnachtsstimmung. Ich dachte an Zuhause und das Heimweh überkam mich.
Vor der Winterbreak, den langen Winterferien, und dem ganzen Festtagsaufruhr standen mir und meiner Gastschwester Wendy jedoch noch die ganzen “Exams” bevor, die Arbeiten, mit denen das erste Schulhalbjahr abgeschlossen wird. Zu Hause türmten sich die Bücher und abends nach dem Training wurde noch einmal ordentlich gelernt. Im Prinzip ging es für mich um nichts, aber bei dem ohnehin schon geringen Niveau hatte ich schon einen gewissen Anspruch und bestand schließlich alle Fächer mit einem A, außer Environmental Science, wo ich quasi wahllos meine Kreuze setzen musste.
Die letzten Wochen waren ein gelungener Abschluss meines fünfmonatigen Aufenthalts. Ich verbrachte viel Zeit zu Hause und bei meiner Freundin Sarah, genoss die freie Zeit, backte Kekse und überwand mich einige Male im Schneesturm draußen doch noch laufen zu gehen. Wenn ich jetzt an den Tag meines Abfluges zurückdenke, wird mir doch noch ein bisschen schwer um’s Herz. Der Abschied war sehr tränenreich, vor allem von Wendy, die mir, trotz ihrer naiven Art und Hilflosigkeit bei alltäglichen Dingen, ans Herz gewachsen war. Und als mich Hannah, die Tochter meiner Gastmutter, zum Flughafen brachte, verfluchte ich mein Entscheidung, nicht doch ein ganzes Jahr zu bleiben. Ich war neidisch auf meine Gastschwester, die noch den ganzen Sommer vor sich hatte. Als der Flieger startete, schloss ich die Augen und spürte, wie mir die Tränen die Wangen herunterliefen. Warum flog ich überhaupt nach Hause?
Das wurde mir dann sofort bewusst, als ich meine Eltern überglücklich am Flughafen stehen sah und ich ihnen in die Arme fiel. Und als ich meinen Freunden das erste Mal live und nicht über Skype in die Augen sehen konnte. Und als ich bei angenehmen zehn und nicht bei -20 Grad laufen gehen konnte. Und als mir der Geruch des frischgekochten Essens meiner Mutter in die Nase stieg. Ich hatte wundervolle fünf Monate hinter mir und jetzt war ich wieder zu Hause. Und das war auch gut so.
…vorerst jedenfalls.
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