“Ein Lernen voneinander”

Von David

Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung und Mitglied der CDU, setzt sich tagtäglich mit der Umsetzung der Inklusion auseinander. Dabei stößt er nicht selten auf Widerstände.

Pressident: Warum halten Sie den Weg der Inklusion in unserer Gesellschaft für den richtigen?

Hubert Hüppe: Das Ganze ist eine Bürgerrechtsfrage. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch, egal welche Hautfarbe, ob behindert oder nicht behindert, ein Recht auf Teilhabe hat. Inklusion ist dazu da, gemeinsame Lebenswelten zu schaffen. In Deutschland gibt es ein breit gestaffeltes Hilfesystem für behinderte Menschen, doch nicht immer führt das zu inklusivem Leben. Im Gegenteil: Wenn Menschen mit Behinderung von jung bis alt in speziellen Einrichtungen leben, kommen sie nicht in Berührung mit Nichtbehinderten im normalen Alltag. Dadurch entstehen Berührungsängste. Das halte ich aktuell für das größte Problem.

Pressident: Was ist dann Ihr Vorschlag, um dies zu verändern?

Hüppe: Ich möchte, dass Personen mit anderen körperlichen oder geistigen Voraussetzungen eine spezielle, gezielte Förderung erhalten, dass sie aber deshalb nicht von dem eigentlichen Umfeld getrennt werden, denn das wäre Einschränkung der Teilhabe.

Pressident: Seit 2008 gilt eine UN-Konvention, durch die sich u. a. auch Deutschland formal dazu verpflichtet, das Recht auf Teilhabe für jeden ins Gesetz zu übertragen. Was hat sich seit dieser Festlegung in der Praxis verändert?

Hüppe: Für mich ist in dieser Zeit viel zu wenig passiert. Wir haben seitdem zwar teilweise richtige Schritte gemacht, beispielsweise im Bereich der inklusiven Bildung in den einzelnen Ländern. Dennoch hat weiterhin der Trend Bestand, dass alte Menschen in Einrichtungen ausschließlich für Behinderte kommen, es gibt immer noch viel zu viele behinderte Kinder, die nicht in den Kindergarten dürfen und es nicht auf eine Regelschule schaffen.

Pressident: Ist die Bedingung für eine nachhaltige, angestrebte Veränderung ein gesellschaftliches Bewusstsein für Inklusion, für ein Leben in Diversität?

Hüppe: Natürlich! Man muss das in einer Entwicklung betrachten: Bis 1945 wurden behinderte Menschen noch zu medizinischen Versuchen missbraucht, verfolgt und umgebracht. Danach hatten wir ein System, wo man zwar erkannte, dass solche Menschen eine spezielle Förderung benötigen. Häufig auf Initiative der Eltern wurden Sonderschulen, Werkstätten und andere Einrichtungen aufgebaut.

Pressident: Damit erschufen sie den Behinderten aber ein separates Leben.

Hüppe: Richtig! Als Konsequenz gerieten solche Menschen aus dem Sinn der Schwerstmehrfachnormalen, wie ich es gerne sage. So wissen viele heutzutage nicht, wie sie mit solchen Leuten umgehen sollen. Sie lassen sich nicht auf ihre Persönlichkeit ein, die wie bei jedem Fähigkeiten und Schwächen besitzt. Wenn ein Unternehmer in seinem privaten Leben schon keine Begegnungen mit behinderten Menschen erlebt, dann wird er solche Leute erst recht nicht beruflich einstellen. Und zwar nicht, weil er sie als minderwertig erachtet. Sondern weil sie fast Angst vor der Begegnung haben. Und genau das muss aufgebrochen werden, dafür kämpfe ich.

Pressident: Wie stellen Sie sich eine inklusive Gesellschaft denn in der Praxis vor?

Hüppe: Für mich bedeutet es nicht nur ein Recht auf Teilhabe, es ist ein Lernen von einander. Und vor allem ein respektvoller Umgang von Anfang an. Ich habe es schon häufiger mitbekommen, dass Menschen mit Down-Syndrom zum Beispiel an der Kasse geduzt wurden. Das gehört sich nicht, aber leider haben viele Betroffene nicht gelernt, sich frühzeitig zu distanzieren, was an einem nicht stattgefundenen Zusammenleben von Anfang an liegt. Deshalb müssen wir von Anfang an die praktischen Voraussetzungen schaffen, um jedem Menschen die gleichen Chancen zu geben. Dazu gehört nicht nur die Barrierefreiheit oder Blindenschrift, dazu gehört auch leichte Sprache, sodass beispielsweise Menschen mit sogenannter geistigen Behinderung die Möglichkeit haben, Bescheide zu verstehen, sogar politisch mitzugestalten.

Pressident: Wie viel Arbeit und Zeit steht für die Umsetzung der Inklusion noch bevor?

Hüppe: Ich bin immer vorsichtig, wenn jemand behauptet, Inklusion sei ein Jahrhundertprojekt. Das sind meist diejenigen, die entweder dagegen sind oder meinen, erst einmal alle überzeugen zu müssen. Hier geht es aber um Menschenrechte. Deshalb kämpfe ich dafür, diese UN-Konvention hier umzusetzen und merke dabei leider ab und zu, wie sich auch Einrichtungen und Kostenträger dagegen wehren. Aber dieser Beschluss, der seit dem Jahr 2008 gilt, hat zumindest schon einmal dafür gesorgt, dass sich Menschen mit Behinderung nicht mehr so einfach wegschicken lassen. Sie können ihr Recht auf Teilhabe nun offiziell einfordern.

Pressident: Herr Hüppe, vielen Dank für das Gespräch!

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