Wenn alles schwarz ist…
Nicht nur ganz Fußball-Deutschland war schockiert, als sich Robert Enke vor knapp 1 1/2 Jahren das Leben nahm. Auch auf internationaler Ebene wusste man nicht so recht, wie man auf den Freitod des immer so souverän wirkenden Spitzentorwarts reagieren sollte. Was nämlich fast keiner wusste: Enke war krank, litt unter schweren Depressionen und verlor letztendlich den Kampf, diese Krankheit zu vertuschen und zu überwinden.
Der 11. November:
Ich kann mich noch sehr gut, wahrscheinlich genauso wie ihr, an den 11. November 2009 erinnern: Ich war schon fast auf dem Weg zur Schule als mir mein Vater von oben zurief: “Im Radio wurde eben berichtet, dass sich Robert Enke gestern Abend das Leben genommen hat.” Ich weiß nicht mehr, was ich gedacht habe, aber ich war extrem schockiert, überrascht und auch fassungslos, vor allem deshalb, weil ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, warum so etwas passieren sollte. Mit den schlimmsten Dingen hätte ich wohl eher gerechnet. Es war für mich erst kaum zu glauben. In der Schule dann redete ich mit meinen Freunden darüber, die meisten hatten ebenfalls davon gehört. Uns gelang es zwar, dadurch das wir unser Wissen aus verschiedenen Quellen zusammentrugen, wirklich zu glauben, dass sich da auch kein Redakteur einen Scherz der ganz üblen Sorte erlaubt hatte. Eine Frage blieb aber vorrübergehend ungeklärt: Warum verliert die deutsche Nummer 1 mit einem Spitzeneinkommen, hohem Ansehen (nicht nur der Fans seines Vereins Hannover 96) usw. anscheinend so sehr den Lebensmut, dass sie sich tatsächlich das Leben nimmt. Als ich mittags endlich nach Hause kam, konnte ich nicht schnell genug den Fernseher anmachen: Es war eigentlich egal, welchen Sender ich einstellte: Auf fast jedem Kanal versuchte man, die Frage nach dem “Warum?” zu beantworten. Und schließlich gab es eine Pressekonferenz, an der u. a. seine Frau, Teresa, und ein Arzt von Rober Enke beteiligt waren. Und auf einmal fiel der Begriff, der an allem Schuld war: Depressionen.
Ich dachte nach: Depressiv, das waren doch immer Leute, denen es sehr schlecht ging, oder? Depressionen, das hatte doch etwas mit der Psyche zu tun, nicht wahr? Ich kratzte mein minimales Wissen zusammen und fragte mich anschließend, ob ich Enke je irgendetwas angemerkt hätte, was in diese Richtung ginge. Ich fand nichts. Klar, Robert Enke konnte man von der Mentalität her keines falls Torhüter-Typen wie Frank Rost, Oliver Kahn oder Jens Lehmann gleichsetzen. Aber Dinge wie Antriebs- oder Hoffnungslosigkeit, die Teresa Enke in ihrem Statement nannte, waren ihm nie anzumerken gewesen. Ganz im Gegenteil: In Robert Enke hatten viele, inkl. mir, jenen gesehen, der für Ehrgeiz, Zielstrebigkeit, Erfolg aber eben auch Bodenständigkeit stand, einen echter Teamplayer.
Alles war ziemlich paradox und es stellten sich mir unzählige Fragen. Mit am meisten verwunderte mich aber, wie es gelingen konnte, eine psychische Krankheit, unter der Robert Enke zweimal über einen längeren Zeitraum litt (mehr und mehr Informationen kamen mit der Zeit ans Tageslicht), der Allgemeinheit zu verheimlichen und gleichzeitig noch auf höchstem Niveau Profisport zu betreiben. Und darausfolgend musste ich wiederrum bedauernd überlegen: Darf man in der Öffentlichkeit keine Schwäche zeigen und seine Hilfebedürftigkeit nicht äußern, um sportlich erfolgreich zu sein und zu bleiben?
Reaktionen auf den Selbstmord Enkes:
Die ersten Tage nach Enkes Tod ließen die Geschehnisse verständerlicherweise keinen Fußballer los: Hannover-Fans trafen sich vor der AWD-Arena (Stadion von Hannover), um gemeinsam zu trauern, ein Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft wurde aus Rücksicht gegenüber allen Interessierten abgesagt, in anderen Spielen, egal ob in Deutschland oder international, fand eine Schweigeminute statt und auch so wurde darüber geredet, wahrscheinlich weil man glaubte, all das auf diese Art am besten zu verarbeiten.
Doch mit der Zeit verschwand natürlich die Brisanz und es gab in der Bundesliga wieder Wichtigeres, auf das man sich erneut fokussieren wollte und auch musste. Auch ich glaubte, mit der gesamten Geschichte abgeschlossen zu haben. Doch war es mehr Verdrängung als Vergessen gewesen?
Die Biografie:
Ein Buch rief den Fall Robert Enke in mir wieder hervor. Ich entdeckte, dass eine Biografie erschienen war, geschrieben von einem Freund Enkes, Ronald Reng. Der Titel lautete: Ein allzu kurzes Leben (Gebundene Ausgabe: 426 Seiten; ISBN-10: 9783492054287; Preis: 19,95€). Ich wollte es haben und dafür gab es mehrere Gründe:
1.: Ich hatte noch nie eine Biografie gelesen.
2.: Ich wollte detaillierte Informationen über Enkes Lebenslauf wissen.
3.: Die Fragen, die ich mir damals gestellt hatte und nur oberflächlich beantwortet hatte, tauchten wieder auf und wollten nun reichhaltiger geklärt werden.
Depressionen:
Welche Kraft muss diese Krankheit besitzen, wenn sie einen wie ihn (Robert Enkes) in den Trugschluss lockt, der Tod sei eine Lösung? (Buch S. 11)
Gesagt, getan: Ich habe das Buch gelesen und komme zu dem Resümee, dass es mir sehr geholfen hat, die Fragen ausführlich zu beantworten. Zwar kann die Biografie nicht dabei helfen, das Bedauern aufgrund des Verlusts einer Persönlichkeit wie Enke es war, zu lindern. Aber es bietet einen Einblick in die verschiedenen Lebensphasen, die der Torwart innerhalb von 32 Jahren durchlaufen hat: Ob es nun der Werdegang zum Profi war, das Einjahresengagement beim großen FC Barcelona, der sportliche Absturz, der Neuanfang beim spanischen Zweitligisten CD Teneriffa oder auch der schmerzhafte, frühe Tod von Enkes Tochter Lara. Es erzählt all die Facetten vom Leben eines Menschens, der eigentlich alles richtig und gut machen wollte.
Und dann wird da eben noch ein anderer, in Robert Enkes Leben ganz entscheidender Aspekt beleuchtet: Seine Depressionen. Diese Krankheit ist furchtbar, sie verändert Menschen, welche für ihren schwindenden Lebensmut keinerlei Schuld tragen. Man bringt nichts mehr zustande, will morgens am liebsten nicht aus dem Bett aufstehen und ist abends total sauer, nichts zustande gebracht zu haben. Es setzt eine irrationale Denkweise ein, sodass ein Depressiver kein normales Leben mehr führen kann. Banale Dinge können auf einmal nicht mehr bewältigt werden. Auch bei Robert Enke war es so. Er litt zweimal darunter. Er konnte sich an nichts mehr freuen, es war fast ausnahmslos alles schwarz. Er brauchte unbedingt Hilfe. Bei der ersten Erkrankung erhielt er sie auch, was auch daran lag, dass er zu dieser Zeit quasi vereinslos war und auch sonst die Popularität ziemlich niedrig war. Gemeinsam mit seiner Frau, Freunden und psychischer Unterstützung gelang es, einen Neuanfang zu starten.
Viele haben seinen (Robert Enkes) Tod falsch verstanden: Er habe sich umgebracht, weil er sein Leben nicht mehr aushielt. (…) Welch ein tragisches Missverständnis. Die meisten depressiven Menschen, die einen Selbstmordversuch begehen, wollen nicht sterben. Sie wollen nur, dass diese Finsternis endlich verschwindet, die ihre Gedanken bestimmt. (Buch S. 13)
Bei der zweiten Erkrankung war es jedoch anders: Zu dieser Zeit war Enke bei Hannover 96 ein gestandener Spieler, Kapitän. Außerdem wurden ihm beste Chancen auf die Nummer 1 im deutschen Tor für die WM 2010 in Südafrika zugesprochen. Es war auf einmal sehr schwer, den richtigen Weg zu finden, aus diesem schweren Tief herauszukommen. Enke ging es zwar so schlecht, dass er sofort in eine Klinik hätte gehen müssen. Andererseits hätte das wohl bedeutet, dass seine Karriere abrupt beendet gewesen wäre. Er konnte mit seinem Problem einfach nicht an die Öffentlichkeit gehen. Eine lange Zeit hielt er durch, für alles fand man eine Erklärung in der Presse. Wenn es ihm sehr schlecht ging, dachte sich sein Arzt eine Verletzung aus, die Enke für gewisse Zeit Ruhe vor Rechtfertigungen schenkte. Ihm selbst half das aber nichts und schließlich gab es nur noch einen Ausweg: den Tod.
Ich empfehle das Buch auf jeden Fall weiter, da es hilft, nachzuvollziehen, wie Robert Enke wirklich war. Mir hat das Buch entscheidend dabei geholfen, mit dem Thema abzuschließen und ich glaube, dass es anderen Fußballfans ähnlich geht