Ein kunterbunter Buchstabensalat
Eine Welt ohne Wörter? Ein Leben ohne Lesen und Schreiben? Buchstaben nicht entziffern können? Für die meisten nur sehr schwer vorstellbar. Doch es gibt mehr Menschen, die sich mit diesem Problem Tag für Tag auseinandersetzen müssen, als man denkt. Denn allein in Deutschland zählen 7,5 Millionen Bürger zu den sogenannten funktionalen Analphabeten. Diese sind zwar in der Lage einzelne Sätze zu lesen, aber keine zusammenhängende Texte. Besonders in Ballungsräumen und Großstädten ist diese Art des Analphabetismus weit verbreitet.
Das Problem des Analphabetismus ist schon seit Jahrzehnten bekannt, doch trotzdem gab es bisher nur Schätzungen darüber, wieviele Menschen zu den Analphabeten zu zählen sind. Erst jetzt hat die Universität Hamburg erstmals Zahlen zum Analphabetismus in Deutschland wissenschaftlich ermittelt, lange nach Frankreich und England, die schon zuvor genaue Zahlen für Analphabetisierung erhoben hatten.
Hierfür wurde 8000 Befragten Fotos von Werbeplakaten und Verkehrsschildern, sowie Kunstwerke und kurze Wörter wie Pflanze oder Auffahrt gezeigt.Unterschieden wird Analphabetismus in fünf Stufen, ‘Alpha 1′ bis ‘Alpha 5′. Während ‘Alpha 1′ nur mühsam einzelne Wörter schreiben können, gelingt es ‘Alpha 5′ einfache Texte zu formulieren. Für Analphabeten wird Lesen zur Anstrengung, Wörter verschwimmen zu einem Buchstabendickicht. Die Betroffenen fühlen sich ähnlich, wie Touristen, die in einem fremdsprachigen Land Urlaub machen und durch die Straßen gehen.Und dennoch: Nur 20% der funktionalen Analphabeten verlassen die Schule ohne einen Abschluss, jeder achte kann sogar einen höheren Bildungsabschluss nachweisen. Nicht nur bei Migranten sind Defizite in der deutschen Sprache festzustellen, bei 58% der getesteten Analphabeten handelt es sich um Muttersprachler.
Wer nicht lesen kann muss tricksen, gerade in der heutigen Zeit der Computer. Tickets, Kleidung und vieles mehr wird heute über das Internet gekauft und die Menschen kommunizieren mehr denn je über das ‘World Wide Web’ und SMS. Besonders wichtig sind ein Beruf, in dem körperliche Arbeit, an Stelle von Lesen und Schreiben, gefragt ist und gute Freunde, die einem beim Ausfüllen von Formularen helfen und stets motivieren einen Neuanfang zu wagen und als Erwachsener Lesen und Schreiben neu zu erlernen. Denn Betroffene bringen durch frühere Misserfolge nur schwer den Mut auf sich abermals daran zu versuchen. Dabei ist es nicht schwer Sprache und Schrift zu trainieren, ganz ähnlich wie einen Muskel. Als Erwachsener wieder zweimal in der Woche in die Schule zu gehen und zu lernen erscheint einem zu Anfang wahrscheinlich komisch, doch schon nach geraumer Zeit lassen sich kleine Erfolge nachweisen. Mit etwas Fleiß sind die meisten ‘Schüler’ schon bald in der Lage, kleine Kurzgeschichten selbst zu verfassen, Einkaufszettel und Notizen zu hinterlassen oder an Kreuzworträtseln teil zu nehmen. – Uns winzig erscheinende und dennoch äußerst wichtige Schritte in ein neues, unkomplizierteres und geselligeres Leben!