Blei im Blut
So war’s: Rauch, Ruß, Dreck. Hamburg sah in den 70er-Jahren wie ein ökologischer Pflegefall aus. 2011 nennt sich derselbe Ort “Umwelthauptstadt”. Eine europäische Erfolgsgeschichte.
Es war trauriger Alltag in der Hansestadt Hamburg – keine 30 Jahre ist es her: Elbverschmutzung, Giftskandale, Chemieunfälle, Baumsterben. Die Luft war mehlig wie in Mexiko-City, das Wasser dunkel wie der Bildschirm eines abgestürzten PCs. Umweltschutz beutete die Stadtkassen aus und alles was teuer war, gefährdete den Fortschritt. Trotzdem legte die Politik wesentliche Grundsteine, damit sich Hamburg heute – 2011 – Umwelthauptstadt Europas nennen darf. Sich zurück zu erinnern oder erzählen zu lassen, ist ein wunderbares Gefühl, der Titel ist nicht vom Himmel gefallen.
Hamburg ist Industriestandort – Umweltschutz war quer durch die 70er und 80er ein politischer Dauerbrenner. Einerseits gab es große wirtschaftliche und politische Komplikationen wie die Verschmutzung der Alster, andererseits fing Umweltschutz bei jedem einzelnen Bürger an. Nach 30 Jahren weiß die Stadt, dass die Diskussionen um Grenzwerte der Verschmutzung und Parkplatzmangel – oft mit starkem Widerstand – gut für die Hansestadt gewesen sein müssen.
Hamburg hat in den vergangenen Jahren und in der
Gegenwart große Leistungen erbracht und hat auf der
ganzen Bandbreite exzellente Umweltstandards erreicht.
Die Stadt hat sehr ehrgeizige Pläne für die Zukunft, die
zusätzliche Verbesserungen versprechen.Begründung der Europäischen Kommission
bei der Wahl Hamburgs zur Umwelthauptstadt Europas 2011
Ein wesentliches Projekt soll der “Zug der Ideen” werden – er fährt durch Europa, um die Menschen für Umweltschutz zu begeistern – und um Hamburg zu präsentieren. In ihm zeigt sich, wie Gärten auf Autobahnen gebaut werden sollen und wie Benzin durch Wasserstoff ersetzt werden soll. Im Wahlkampf war dieses Projekt umstritten, jetzt soll er neue Ideen nach Hamburg bringen.
Selbstverständlich ist ein großes Abwägen von Kosten und Nutzen beim Zug der Ideen notwendig. Nicht aus den Augen verlieren sollte man allerdings, dass dieser Hauptbestandteil der Bewerbung zur Umwelthauptstadt war und ohne ihn Hamburg womöglich das Nachsehen gegenüber Warschau oder Wien gehabt hätte. Gleichzeitig bietet er die Möglichkeit Hamburg zu präsentieren und sich zu informieren, was die EU für jeden Einzelnen tut und wie sie funktioniert.
Problemfall Boehringer
Das Chemieunternehmen Boehringer produzierte in Hamburg über viele Jahre direkt neben landwirtschaftlichen Nutzflächen. Anwohner protestieren gegen giftige Luft und verseuchtes Wasser. Boehringer wies alle Vorwürfe zurück.
Später ergaben Untersuchungen in der Umgebung von Boehringer, dass neben den Betriebsanlagen auch der Boden massiv durch chlororganische Verbindungen belastet war. Die Proteste gegen die dioxinhaltige Produktion erreichten 1984 ihren Höhepunkt und aus Sorge, das Hauptgeschäft (Arzneimittel) könne unter dem schlechten Ruf (Boykottaufruf von Ärzten) leiden, legte der Konzern den Betrieb still.
Trotz starker Proteste – diesmal von der anderen Seite – verfolgte der Senat nach dem Problemfall Boehringers die Einhaltung neuer Umweltgesetze. Viele Unternehmen wurden modernisiert, um drohenden Folgen aus dem Weg zu gehen.
Luftqualität
Im Vergleich zu anderen Großstädten hat Hamburg heute akzeptable Luftqualität und schnitt bei den letzten Vergleichen mit “ganz gut” ab. Bereits im Jahre 1958 wurden in Hamburg erste Luftmessungen durchgeführt, doch erst 1970 entstand ein Luftmessnetz, welches heute die ganze Stadt überzieht.
Elbe, Alster, Bille
Ein halbes Jahrhundert war das Baden in Elbe, Alster und Bille ohne gesundheitliche Beschwerden kaum möglich. Ursache waren industrielles Abwasser und häufig überlaufende Straßensiele. Erst seit zehn Jahren haben die Hamburger Gewässer wieder annähernde Badequalität erreicht, u.a. finden in der Alster Sportveranstaltungen wie der Hamburger Triathlon statt – eine Generation früher noch undenkbar. Nicht mal Fische konnten damals verzehrt werden.
Muss nichts mehr getan werden?
Viele Probleme sind unübersehbar. Hamburg wäre nicht Umwelthauptstadt, wenn nicht auch für die Zukunft ein Konzept vorliegen würde. Trotz der oben beschriebenen guten Luftqualität würde sich ein weiteres Verbessern auf diesem Bereich positiv für die Bevölkerung auswirken. Insbesondere der Grenzwert für Stickstoffdioxid wird in Hamburg überschritten.
Kaum übersehbar sind die Natur-Zerstörungen durch den Hamburger Hafen. Dass dieser Umweltfolgen mit sich zieht, ist selbstverständlich und für einen Großteil der Bevölkerung im möglichst geringen Maße auch hinnehmbar, speziell um die Frage der Elbvertiefung wird aber weiterhin debattiert. Auch Projekte wie das Kohlekraftwerk in Moorburg wären ein KO-Kriterium für Hamburg als Umwelthauptstadt, doch die Begründung der Auszeichnungsjury betont unter anderem die Entwicklung Hamburgs der letzten Jahre. Umweltschutzorganisationen wie NABU kritisieren die Auszeichnung zwar bis heute und erklären sie zu einem “Witz”, doch deutlich wird ganz klar:
Europa gibt Hamburg vor allem eine Chance, sich zu entwickeln, sich zu verbessern und sich überregional zu präsentieren.
Vorschaubild: Erich Westendarp, Bild 2: Christa Nöhren, Bild 3:
Carl-Eric Pudor / alle pixelio.de
Super!Schön geschrieben,interessantes Thema und einfach cool!
Weiter So!