Wenn wir uns umschauen, betrifft das Thema auch uns: es gibt eine neue DaZ-Klasse an unserer Schule, in Hamburg werden täglich zigtausende Spenden entgegengenommen und auch Pinneberg nimmt Flüchtlinge auf. Und nun hat sich unsere Redaktion überlegt, den Oktober und den November ganz im Zeichen der Flüchtlinge zu gestalten. Wöchentlich werden wir Reportagen, Interviews und Berichte hochladen, die sich mit unterschiedlichsten Bereichen der Problematik beschäftigen. Damit möchten wir ein Zeichen für Offenheit und gegen Fremdenhass setzen, wir möchten deutlich machen, dass unsere Schule zum hellen Deutschland gehört. Dafür berichten wir über die Kleiderkammer in den Messehallen, zeigen euch eine Flüchtlingsunterkunft, erklären, warum die Menschen aus anderen Ländern eigentlich genau zu uns kommen wollen, überlegen, wie es weiter gehen könnte und vieles mehr!
Doch nicht nur wir beschäftigen uns mit der Thematik, auch Ihr könnt etwas tun! Während der nächsten zwei Monate sollt ihr mindestens einmal etwas Gutes für Flüchtlinge tun. Dabei ist egal, was Ihr macht: helft in einem Flüchtlingsheim, gebt Sachspenden ab, helft in der Kleiderkammer oder verbringt einfach ein wenig Zeit mit den Flüchtlingen, denn Abwechslung ist in so einer Unterkunft Mangelware. Postet dann Eure Unterstützung auf Facebook, Instagram oder Twitter mit dem Hashtag #PRESSIDENThilft! Auch die Redaktion wird sich an diesem Projekt beteiligen und gemeinsam können wir eine Menge bewegen!
Also, schaut jeden Montag auf unserer Website vorbei und lasst Euch überraschen, helft selber Flüchtlingen und teilt Eure Erfahrungen mit der Welt.
REFUGEES WELCOME!
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Pressident: Seit wann interessierst Du dich für Politik?
Mareike Engels: Ich interessiere mich eigentlich schon immer für Politik, auch ich habe mit meiner Arbeit in einer Schülerzeitung angefangen und habe mich so erst einmal für lokale Themen interessiert, dann aber auch schnell für Bildungspolitik in Niedersachsen. Darüber bin ich dann zur Jungen Presse Niedersachsen gekommen und waren viel in Niedersachsen unterwegs, z.B. Zu einem Rechercheseminar in Dörverden zum Thema Rechtsextremismus. Dort ist nämlich der Heisenhof, ein Tagungszentrum von Rechtsextremen, was Jürgen Rieger, einem Hamburger NPDler gehörte. Und natürlich wächst man in Niedersachsen quasi auf Anti-Atom Demos auf. So habe ich dann auch die Grüne Jugend kennengelernt und als ich dann nach dem Abi nach Hannover gezogen bin und Anschluss in einer neuen Stadt gesucht habe, war die Grüne Jugend auch meine erste Anlaufstelle.
Du kommst ursprünglich nicht aus Hamburg sondern aus Niedersachsen. Warum bist Du hier?
Das ist ganz einfach: Ich war schon immer viel in Hamburg, fühlte mich hier wohl und für mich war dann klar – in Hamburg möchte ich studieren!
Gibt es eine Art Ausbildungsberuf für Politik, oder wie kommt man dazu?
Ein Parlament sollte immer einen Querschnitt der Gesellschaft abbilden, also verschiedene Berufe, gerechte Repräsentanz der Geschlechter und eben auch eine gute Verteilung der Altersgruppen. Auch junge Leute sollten in der Politik etwas zu sagen haben und Verantwortung übernehmen. Deshalb habe ich mich auch schon immer politisch engagiert und dann ist es auch nicht wichtig, was man für eine Ausbildung hat oder was man studiert. Nur das politische Engagement zählt.
Wie sah deine erste Erfahrung als Abgeordnete aus?
(lacht) So lange bin ich ja noch gar nicht in der Bürgerschaft, ich hatte auch erst eine Plenarsitzung und ich bin während der Plenarsitzung erst Abgeordnete geworden. Einige unserer bisherigen Abgeordneten wurden dort zu Senatorinnen und Senatoren und ich bin dann während der Sitzung nachgerückt. Das war ein sehr aufregender Moment, wir Nachrückerinnen warteten quasi mit dem Landeswahlleiter vor dem Plenarsaal und haben dann nach der Vereidigung der neuen Senator_innen unser Mandate angenommen. An dem Abend hatte ich auch gleich meine erste Rede. Das war sehr aufregend.
Worum ging es in der Rede?
Es gab einen Antrag, in dem ein Armuts- und Reichtums Bericht gefordert wurde und darüber haben wir dann debattiert.
Was nervt Dich zurzeit am meisten in der Politik?
Das ist eine sehr schwere Frage, aber mich nervt tatsächlich etwas sehr stark. Im Sinne der Generationengerechtigkeit ist es gut, dass wir eine Schuldenbremse eingeführt haben, aber die Konsequenz sollte kein strikter Sparkurs sein. Es ist ziemlich ungerecht, auch im Sinne der Generationsgerechtigkeit, wenn an der Bildung gespart wird, wenn soziale Leistungen zusammengespart werden und so weiter. Das nervt mich ziemlich und ich finde, dass das so auf Dauer nicht weitergehen kann.
Wenn Du eine Sache in Hamburg verändern könntest, was wäre das?
Nur eine Sache? Ok, das ist ein sehr großer Punkt also passt das: Die soziale Spaltung in unserer Stadt in den Griff zu bekommen. Hamburg ist sehr stark zwischen Arm und Reich gespalten, es gibt viele Leute, die in unserer Gesellschaft abgehängt sind. Es gibt auch immer noch eine große Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, Frauen haben weniger Chancen, Frauen haben weniger Geld zur Verfügung und damit auch weniger Macht und das alles würde ich gerne ändern.
Welchen Punkt würdest Du gerne im aktuellen Koalitionsvertrag ändern?
Also erst einmal finde ich ihn im Grundsatz ganz gut und ich habe ihm auch nach langer Abwägung zugestimmt. Aber ich bin natürlich nicht hellauf begeistert. Es gibt eben viele Stellen, an denen ich mehr gewollt hätte. Und gerade bei den Punkten soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit hoffe ich darauf, dass wir im Laufe der fünf Jahre mehr Antworten finden als momentan im Koalitionsvertrag stehen.
Welches Amt hättest Du lieber inne: Grüne Bürgermeisterin in Hamburg oder weiterhin Grüne Abgeordnete?
Ich bin jetzt erst einmal sehr gerne Abgeordnete, aber ich würde mich sehr freuen, wenn die nächste Bürgermeisterin eine Frau ist. Ich finde, dass das unsere Stadt verdient hat auch mal von einer Frau regiert zu werden. Das gab es nämlich noch nie und es dringend an der Zeit!
Wo siehst Du Hamburg in zehn Jahren?
Hoffentlich nicht im Post-Olympia-Schock.
Wo siehst Du Dich selbst in zehn Jahren?
In einem grüneren und gerechteren Hamburg.
Was sind Deine realistischen Ziele für Deine erste Legislaturperiode?
An ein Arbeitsprogramm werden wir uns erst in den nächsten Wochen und Monaten machen, aber ich würde gerne Dinge wie die bessere Finanzierung der Frauenhäuser oder die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und eben auch die leider so hohe Armut in der Stadt in Angriff nehmen.
Was müsste passieren, damit Du aus der Politik aussteigst?
Ich müsste den Glauben daran verlieren, dass ich etwas verändern kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sehr gerne.
Es war schon immer ein großer Traum von mir nach Neuseeland zu fliegen. Nicht nur, weil dieses Land so weit von uns entfernt ist, sondern auch, weil es so vielseitig und unerreichbar scheint. Umso mehr freute es mich, als ich erfuhr, dass ich meine Frühjahrsferien auf der Nordinsel Neuseelands verbringen durfte. In diesem Beitrag versuche ich nun euch ein wenig mitzunehmen, in ein wunderschönes Land voller Natur, Kultur und Gegensätze. Hier nun also die schönsten Bilder des schönsten Urlaubes meines Lebens.
P.S.: Wenn ihr noch etwas mehr zu meiner Reise erfahren wollt, dann besucht doch mal meinen Blog: tripvalentinnz.wordpress.com
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Ich bin nicht der Beste in Französisch. Dementsprechend war ich mir zu Beginn nicht sicher, ob ich am Austausch mit Franzosen teilnehmen sollte. Doch da viele meiner Freunde mitfuhren, habe ich es auch gewagt – und es war richtig.
Wie bei jedem Austausch schreibt man am Anfang einen Steckbrief über sich und seine Familie. Auf dieser Basis werden die Partner zugeordnet. Ein paar Wochen vor der Abfahrt nach Sancerre erhielten wir also den Steckbrief unserer Gastfamilien. Mein Austauschpartner war Pierre. Ein netter und fröhlicher Junge, der unweit von Sancerre an der Loire wohnt. Die erste Kontaktaufnahme lief dann über Facebook und später Skype.
Dann war es endlich soweit: Früh morgens um fünf Uhr trafen wir uns am Pinneberger Bahnhof. Wir starteten mit der „kleinen“ S-Bahn, um später mit dem französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV über Straßburg nach Paris zu fahren. Nach acht Stunden Fahrt waren wir endlich da und wurden von unseren Austauschfamilien herzlichst begrüßt. Die Gruppe trennte sich und gemeinsam mit unseren neuen Familien fuhr ich in das Haus, in dem ich eine Woche lang wohnen sollte. Sancerre ist eins der Haupt-Weinanbaugebiete Frankreichs. Die Landschaft ist sehr hügelig und von kleineren Bergen geprägt. Pierre wohnt auf einem großen Grundstück in einem alten, gut erhaltenen Haus. Ich bekam mein eigenes Zimmer – eigentlich gehörte es Pierre.
Am nächsten Morgen gab es natürlich Croissants zum Frühstück. Dann fuhren wir mit dem Bus zur Schule. Da die Landschaft so hügelig ist, besteht kaum die Möglichkeit, zu Fuß oder gar mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen. Einige Schüler fahren allerdings mit einem Motorrad. Die Schule ist, nett gesagt, schmucklos. In der ersten Stunde sprachen wir mit unseren Lehrerinnen, Frau Adams und Frau Lassen, über das, was wir bereits erlebt hatten. Dann teilten wir uns auf, wer, wann, in welchen Unterricht geht. Bei mir stand Englisch, Musik und Latein auf dem Stundenplan. Das waren die einzigen Stunden, die ich in dieser Woche absolvieren musste. Sonst gab es hauptsächlich Ausflüge, beispielsweise in die „Innenstadt“ von Sancerre (Sancerre ist wesentlich kleiner als Pinneberg) oder an das Schloss Chambord.
Verständigungsprobleme hatte ich kaum, da meine Gasteltern ein wenig Deutsch sprachen und Pierre auch relativ gut Deutsch konnte. Zur Not gab es ja auch immer noch ein Wörterbuch, welches aber kaum zum Einsatz kam. An freien Tagen haben wir viel gemeinsam unternommen. Wir gingen zum Beispiel mit einigen deutschen Klassenkameraden ins Schwimmbad oder zum Minigolf. Andere waren beim Paintball oder sind Motorrad gefahren. Außerdem lernt man selbstverständlich die Kultur des Landes kennen. Zum Beispiel ist es kein Klischee, dass es zu jeder Mahlzeit Baguette gibt. Nur das mit den Baskenmützen bewahrheitete sich nicht ganz.
Toll war auch, dass fast unsere gesamte Klasse mitfuhr. Nur ein Schüler kam aus einer Parallelklasse. So stärkten wir gleichzeitig auch unseren Klassenzusammenhalt. Aller Abschied fällt schwer, so auch dieser. Nach einer Woche voller Spaß verabschiedeten wir uns von unseren Gastfamilien. Nach einer langen Fahrt kamen wir auch wieder in Pinneberg an.
Ungefähr drei Wochen später besuchten uns dann die Franzosen. Da wir uns schon kannten, gab es keine Eingewöhnungsphase. Eigentlich lief fast alles wie in Frankreich ab: Die Gastschüler genossen viele Ausflüge. Einer von ihnen ging nach Büsum, wo wir eine Wattwanderung machten und uns in diversen Läden Souvenirs kauften. Unsere Gäste hatten so etwas wie das Watt noch nie gesehen und interessierten sich dementsprechend sehr für diese außergewöhnliche Landschaft.
Nun hatte unsere Klasse den Vorteil, dass 15 am Austausch teilnahmen, so konnten wir gemeinsam viele private Ausflüge organisieren. Der Hochseilgarten in Heist hat den Franzosen am meisten gefallen. Auch dort staunte man nicht schlecht, als sich eine dreißigköpfige Austauschgruppe ankündigte. Außerdem ging es ins Schwimmbad und in den Klövensteen. Worüber sich die Gäste aus Frankreich besonders gefreut haben, war die Currywurst. Niemand weiß warum, aber wenn man in der Stadt war, standen sie immer an einer solchen Bude. Daher empfahl es sich auch, den Franzosen zum Abschied etwas Currysoße mitzugeben. Ja, denn auch die Zeit in Deutschland ging nach nur etwas mehr als einer Woche zu Ende.
Ich werde diese Zeit nie vergessen, denn ich habe viel gelernt. Über die Kultur und auch über die Unterschiede zu unserem Leben, obwohl sich Deutschland und Frankreich doch grundsätzlich ähneln. Und ich habe nun auch einen neuen Freund – das ist ja eigentlich das Wichtigste.
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Eine persönliche Sichtweise zur gefährlichen Krise im Osten.
Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, da habe ich hier einen Artikel über meinen Schüleraustausch in Kiew geschrieben. Damals war alles friedlich und ich hatte nur die Absicht, über die Möglichkeiten des Austausches zu berichten, weil viele Schüler bisher wenig Interesse an diesem Land hatten. Doch die Dinge haben sich geändert. Nun ist die Krise um die Ukraine aus keiner Nachrichtensendung mehr wegzudenken. Jetzt schreibe ich nicht, um für die Fahrt zu werben, sondern um die politische Lage der Ukraine aus Sicht einer mir persönlich bekannten Familie zu schildern. Was ist passiert und warum ist die Ukraine plötzlich so wichtig? Und vor allem: Wie beeinflusst die Krise das Leben meiner ukrainischen Gastfamilie?
Alles begann mit den friedlichen Protesten gegen die ukrainische Regierung auf dem Maidan. Diese hatte zuvor ein wichtiges Abkommen mit der EU im letzten Moment gekippt. Möglicherweise gab es Drohungen aus Russland. Die Menschen forderten eine engere Bindung an die EU und an den Westen. Der Maidan ist direkt im Zentrum Kiews und auch ich habe ihn im September 2013 besucht. Damals war es ein schöner Platz mit vielen Geschäften und einigen Touristenattraktionen. Im Fernsehen konnte ich ihn wenige Wochen später kaum wiedererkennen. Er war nun ein riesiges Zeltlager, nur die große Statue mit dem Globus ragte aus der Menge heraus. Die Eltern meines Austauschschülers Jegor waren nicht auf dem Maidan. Sie hatten Angst die Lage könnte eskalieren, aber sie bewunderten den Mut der dort unermüdlich ausharrenden Menschen. Wenige Tage nach der Besetzung des Platzes zogen Polizeitruppen rund um den Platz. Was mit einigen Festnahmen begann, endete mit vielen Straßenschlachten und leider auch Toten.
In dieser Zeit traute meine Gastfamilie sich oft nicht auf die Straße, weil man Angst vor willkürlichen Festnahmen oder Überfällen haben musste. Da die westlichen Medien ihren Blick nur auf den Maidan richteten, war dieser zeitweise fast noch der sicherste Ort. Grundsätzlich war Kiew alles andere als sicher. So wurde auch das Einkaufen schwer, der Weg zur Arbeit oder zur Schule. Doch dann nahm das Blatt eine Wendung. Die Sondertruppen der Regierung zogen sich eigenständig zurück, weil sie “dem psychischen Druck, unschuldige Menschen zu töten, nicht mehr standhalten konnten”. Die ukrainische Regierung wurde abgesetzt, Präsident Janukowitsch wurde vertrieben. Eine Übergangsregierung kam an die Macht.
Meine Eltern und ich haben versucht, den Kontakt zu meiner ukrainischen Gastfamilie über „Skype“ zu halten, was nicht immer einfach war, da häufig gar keine Internetverbindung möglich war. Anfänglich waren wir uns nicht sicher, wie frei Jegor und seine Mutter (die sehr gut Deutsch spricht) mit uns über ihre Situation und ihre politischen Ansichten sprechen könnten. Deshalb waren wir mit unseren Fragen eher vorsichtig. Doch schnell merkten wir, dass sie bereitwillig Auskunft gaben und sogar erleichtert waren, mit uns darüber zu reden. Sie sorgten sich um ihre Zukunft. Einerseits waren sie froh, dass Präsident Janukowitsch abgesetzt war, andererseits wussten sie nicht, wie es weitergehen soll. Auf unsere Frage, wen sie sich als künftigen Präsidenten wünschen würden und was sie von Klitschko hielten, zuckten sie mit den Schultern. Aus ihrer Sicht gab es niemanden, dem sie ein solches Amt zutrauten. Klitschkos Bemühungen wären ehrenwert, aber er sei eben Boxer, kein Politiker. Und viele andere wären korrupt und nur am eigenen Reichtum interessiert. Überhaupt gaben Jegor und seine Familie den Politikern die Schuld an der aktuellen Lage, und für Putin fehlten ihnen gänzlich die Worte. Die ukrainischen und russischen Menschen hätten bisher gut miteinander leben können, sagten sie. Die Umgangssprache meiner Gastfamilie ist russisch, auch wenn sie europäisch orientiert sind und ihre Kinder auf eine Schule mit Deutschunterricht schicken. Aber sie fühlen sich dem russischen Volk verbunden und haben viele Gemeinsamkeiten. Und nun mussten sie die eigennützigen Interessen der Politiker um Macht und Geld ausbaden.
Im September 2013 habe ich selbst die herzliche Gastfreundschaft der Ukrainer erleben dürfen. Und meine Gastfamilie wünschte sich sehr, dass ich sie mit meinen Eltern und meinem Bruder in Kiew besuchen würde. Nun wirkte meine Gastmutter traurig, weil dieser Besuch in weite Ferne rückt. Sie ist sehr stolz auf ihr Land und die Kultur und hätte uns gerne die vielen schönen Plätze und Gebäude in Kiew gezeigt. Doch nun war vieles zerstört und auf dem Maidan brannten aufgetürmte Autoreifen.
Kurz nach dem Machtwechsel in Kiew besetzten pro-russische Rebellen ein Rathaus auf der Krim (eine Halbinsel der Ukraine). Sie forderten, dass die neue Regierung zurücktritt. Nach und nach schlossen sich immer mehr Menschen diesen Rebellen an. Viele Leute sagen, dass die Rebellen eigentlich russische Soldaten sind, da sie schwer bewaffnet waren und in russischen Panzerfahrzeugen fuhren. Nach ein paar Wochen hatten sie fast die ganze Krim in ihrer Gewalt. Sie setzten eigene Bürgermeister ein und veranstalteten eine Volksabstimmung, ob die Krim zu Russland gehören sollte. Der Westen kündigte schon damals an, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Doch es kam zu der Volksabstimmung und angeblich votierten 97% für den Beitritt zu Russland. Aus russischer Sicht gehörte jetzt also ein Teil der Ukraine zu Russland. Von den Geschehnissen auf der Krim bekam meine Austauschfamilie wenig mit, doch nun drohte eine finanzielle Notlage. Die Wirtschaft war durch die Ereignisse sehr geschwächt. Eigentlich wollte meine Gastfamilie ihre 2-Zimmerwohnung, in der sie zu fünft leben, kaufen, doch die Kreditzinsen stiegen ins Unermessliche. So war der Traum von der eigenen Wohnung geplatzt und sie müssen weiter Miete zahlen.
Mit der Krim war die Krise aber nicht vorbei. Der Konflikt weitete sich auf die Ostukraine aus. Städte und Provinzen wurden von russischen Seperatisten eingenommen. Jegors Großeltern leben im Nordosten der Ukraine auf dem Lande, nicht weit von der russischen Grenze entfernt. Er hat einen engen Kontakt zu seinen Großeltern und verbringt dort häufig die Ferien. Jetzt fragt er sich, ob das auch weiterhin noch möglich sein wird, ob er Angst um seine Großeltern haben muss und ob vielleicht auch dieser Teil der Ukraine bald zu Russland gehören könnte.
Vor einem Monat fand wieder ein Austausch von Schülern aus Kiew statt und so hat Jegor mich erneut hier in Pinneberg besucht. Ich war ein wenig besorgt, ob ihn die Ereignisse in der Ukraine vielleicht verändert haben könnten. Aber er war so, wie ich ihn kannte und wir haben uns prächtig verstanden. Er hatte einen ganzen Koffer voller Gastgeschenke und ich habe mich gefragt, wie man das in so einer schweren Zeit bewerkstelligen kann. Mir ist aufgefallen, dass er gar nicht so sehr an Fernsehnachrichten oder Zeitungsartikeln über die Ukraine interessiert war. Egal, ob im Kletterpark oder auf dem Hamburger Dom, man hatte den Eindruck, dass er die zwei Wochen in Deutschland genießt und die Zeit hier einfach unbeschwert verbringen will. Es hat ihm gut getan, weit weg von den heimatlichen Unruhen zu sein. Diese Beobachtung haben viele deutsche Familien bei ihren ukrainischen Gastkindern gemacht. Erst als die Rückreise nahte, wuchs das Interesse, sich über die aktuelle Lage zu informieren.
Im Herbst ist der Gegenbesuch in Kiew geplant, doch noch ist ungewiss, ob diese Reise stattfinden kann. Ich würde trotz der Lage um jeden Preis in die Ukraine fahren, um meinen guten Freund zu besuchen. Dann kann ich bestimmt auch wieder mit einer Menge neuer Eindrücke nach Hause gehen.
]]>Zuerst war es allerdings eine Ernüchterung.
Bis auf ein paar Kinder der Grundschulen und einige wenige ältere Schüler war der Drosteivorplatz leer. Nur langsam kamen die “Demonstranten”. Als dann die ersten Reden gehalten wurden, waren ca. 300 Personen versammelt. Zwar nicht immer, wie vorgegeben in rot, aber sie waren da. Viele hatten Plakate, Banner oder Schilder dabei, welche sie kurz zuvor im Kunstunterricht gebaut hatten. Auf ihnen stand zum Beispiel “Wenn es regnet, können wir unseren Schwimmunterricht in die Schule verlegen”, “Lernen unter Sternen, bald ist es soweit” oder “Mit der Fassade, bröckelt auch unsere Bildung”. Verschiedene Redner veranschaulichten die Situation unserer Schulen. Unter anderem Ulrike Graefen (SEB-Vorsand THS) und Nora Neufang (SV der THS). Kleines Highlight der Veranstaltung war das Interview mit unserer Bürgermeisterin, Frau Urte Steinberg. Sie erklärte, dass sie sich sehr für unsere Schulgebäude einsetze, aber leider zurzeit kein Geld zur Verfügung stände. Nötig sind ca. 37 Millionen Euro. Diese Summe hatte der zuständige “kommunale Service Betrieb” (KSP) errechnet. Es wurden jedoch nur ca. 6 Millionen Euro genehmigt. Außerdem betonte Frau Steinberg, dass in den letzten Jahren schon viele Millionen in die Schulgebäude gesteckt worden wären.
Ein Erfolg war das Projekt trotzdem. Über die Aktion war in vielen regionalen Zeitungen zu lesen und sogar das ZDF bot Herrn Beimel eine Reportage über unsere und weitere Schulen im Kreis Pinneberg an. Desweiteren ist demnächst eine weitere Demo geplant, auf der mehrere konkrete Ziele gefordert werden sollen.
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Zuerst war ich mir unsicher. Zwei Wochen Schulzeit würde ich verpassen. Weil ich nur auf Ausflügen bin, würde es sehr schwer werden, den ganzen Stoff nachzuholenn. Grübelnd saß ich vor dem Elternbrief, den mir meine Lehrerin gegeben hatte. Doch als ich mich dann im Internet über dieses Land informierte, war der Zweifel verflogen. Ein paar Monate später bekam ich einen Steckbrief und wurde zu einem Informationsabend eingeladen. Mein Austauschpartner war Jegor. Als er in Pinneberg ankam, hatte er bereits 30 Stunden Zugfahrt hinter sich. Sofort haben wir uns gut verstanden. Da die meisten von uns kein Russisch, oder gar Ukrainisch verstehen, kann man sich sich nur auf Deutsch unterhalten. Die Tage in denen er hier war, sind wie im Flug vergangen. Wir haben Ausflüge gemacht, uns gegenseitig über die Kultur in den beiden Ländern unterhalten, Filme geguckt, sind in den Kletterpark gegangen und haben sehr viel gelacht.
Doch ich möchte euch eigentlich mehr über meine Zeit in Kiew erzählen, denn Pinneberg kennt ihr ja hoffentlich. Anfang September ging es los. Auch ich musste 30 Stunden mit der Bahn fahren. Erst von Hamburg nach Berlin, von dort aus nach Warschau und dann im Schlafwagen nach Kiew. Ich glaube, so herzlich wurde ich in meinem gesamten Leben noch nicht begrüßt und ich wusste sofort, dass ich mich in dieser Familie wohl fühlen würde. Ich wusste schon vorher, dass die Ukrainer sehr gastfreundlich sind, aber dieses Gefühl hätte ich nie erwartet. Nachdem ich die restliche Gruppe verabschiedet hatte, sind wir mit dem Auto quer durch Kiew in die Wohnung gefahren. Ich hatte Glück, denn meine Gastmutter konnte sehr gut Deutsch. Die Wohnung war in einem schmucklosen Wohnhaus, aber innen wie eine ganz normale zwei-Zimmer Wohnung. Tapete, Teppich, Bilder, Fernseher und einigermaßen große Zimmer. Die Eltern von Jegor schlafen im Wohnzimmer und der kleine Bruder schläft bei Jegor mit im Zimmer. Als wir ankamen, gab es erstmal eine heiße Gemüsesuppe. Danach gingen wir in ein Einkaufszentrum, welches für die Kiewer auch ein Freizeitzentrum ist. Dort waren wir auf einer Bowlingbahn und haben Pizza gegessen. In Kiew gibt es einen sehr großen Unterschied zwischen arm und reich. Es gibt viele Neureiche, die in teuren Wolkenkratzern wohnen, teure Autos fahren und sich aber nie um die Sorgen der ärmeren Bevölkerung kümmern würden. So müssen die meisten Leute, bis sie verheiratet sind, bei ihren Eltern in der Wohnung wohnen.
Am nächsten Tag mussten wir schon in die Schule. Wir bereiteten uns auf einen Vortrag zum Thema Migration vor und machten einen Rundgang durch die Schule. Die Schule ist etwas kleiner, aber schöner als unsere. Mittags gab es etwas sehr leckeres zu essen. Es bestand aus Teigbällen, die innen mit Fleisch gefüllt waren (Wareniki). Generell gab es immer sehr leckeres Essen, allerdings wenig, dort sehr teures, Obst und außer Torte war es auch immer warm – auch zum Frühstück. Die Tage gingen so schnell vorbei, wie keine anderen. Wir waren zum Beispiel im Zoo, haben locker tausend Kirchen besucht (die nebenbei sehr prunkvoll und schön waren), haben uns die Kiewer Innenstadt angeguckt, haben Paintball gespielt, sind Rollschuh gefahren und haben uns viele Museen angeschaut. Am Abschlussabend haben wir unsere Projektarbeit vorgestellt und uns am großen Buffet bedient. Zwei Tage später musste ich dann schon die Rückreise antreten. Der Abschied fiel mir sehr schwer, da mir die Familie schon richtig ans Herz gewachsen war. Jetzt hatte ich wieder den nicht wirklich spannenden Schulalltag vor mir. Als ich zu Hause ankam, war ich erstmal erstaunt, wie groß mein Zimmer doch eigentlich ist. Und wir können sogar auf der Herdplatte kochen, während wir im Backofen backen, oder die Heizung ein- und ausschalten, wann wir wollen. Auch unsere Wasser- beziehungsweise Abwasserversorgung funktioniert immer.
Alles in allem war die Zeit in Kiew eine der schönsten, eindrucksreichsten und kulturell informativsten, die ich je hatte. Ich möchte mich an dieser Stelle besonders bei meiner Gastfamilie Vasiunkho bedanken und auch bei der Stiftung west-östliche Begegnung für die großzügige finanzielle Unterschtützung bedanken und empfehle jedem Schüler der Klassenstufe 7-9, an diesem Austausch teilzunehmen.
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Pressident: Wir möchten über Inklusion reden. Inklusion, das hört sich fast so an wie Illusion.
Waltraut ‘Wara’ Wende: Ist aber keine. Zunächst kann Schleswig-Holstein stolz darauf sein, dass wir eine hohe Inklusionsrate im Vergleich zu den anderen Bundesländern haben.
Pressident: Schleswig-Holstein hat eine Inklusionsquote von knapp 60% und belegt damit einen Spitzenplatz im bundesweiten Vergleich. Möchten Sie diese Zahl weiter erhöhen?
Wende: Erst einmal nicht. Meine Auffassung ist, dass wir quantitativ gut da stehen, aber qualitativ noch einiges geschehen muss. Andererseits gilt: Wenn wir die Situation in Schleswig-Holstein mit der Situation in anderen Bundesländern vergleichen, dann brauchen wir uns auch auf der qualitativen Ebene mit unseren Leistungen nicht verstecken, wir sind auf einem guten Weg.
Pressident: Andere Bundesländer gehen den Weg, dass sie diese Quote nicht exorbitant steigern, sondern versuchen, für weniger Inklusionsschüler einen qualitativeren Unterricht anbieten.
Wende: Dass wir Inklusion umsetzen wollen, war immer klar. Hätte man mich aber zu Beginn der Entwicklung gefragt, dann wäre ich die Situation intelligenter angegangen (Anm. der Red.: Wende ist seit 12. Juni 2012 im Amt). Das bedeutet, dass ich erst einmal die Rahmenbedingungen geschaffen hätte – zum Beispiel durch die entsprechende Qualifizierung der Lehramtsstudenten – um dann nach und nach in den Schulen mit der Inklusion zu beginnen. Ein Problem, das wir aktuell haben, ist nämlich, dass sich viele Lehrer und Lehrerinnen mit der Thematik alleingelassen und überfordert fühlen.
Pressident: Die jetzigen Lehrkräfte hört man darüber klagen, dass sie überfordert seien.
Wende: Ja, und weil dem so ist, benötigen wir nicht nur eine Reform des Lehramtsstudiums, sondern auch gute Weiterbildungsangebote für die Lehrerinnen und Lehrer, die bereits an unseren Schulen arbeiten. Wir können, weil die Situation so ist wie sie ist, nicht mehr darauf warten, bis die zukünftig anders ausgebildeten Lehrkräfte an unseren Schulen ankommen. Es muss schnell etwas geschehen. Das sind wir nicht nur unseren Lehrkräften, sondern auch und vor allem unseren Schülern und Schülerinnen mit und ohne Behinderung schuldig.
Pressident: Also ist die Inklusionsquote eher der falsche Messwert, um erfolgreiche Inklusion zu messen.
Wende: Es ist ein Balanceakt. Ich treffe mich regelmäßig mit ‘Praktikern’, Schulleitern und Schulleiterinnen, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern, um die Stimmung vor Ort aufzunehmen. Generell finde ich jedoch, dass die Qualität der Inklusion wichtiger ist als die Quantität.
Pressident: Um die Qualität zu verbessern, bedarf es eine bessere Ausstattung der Schulen, zusätzliche Sozialpädagogen, mehr Lehrpersonal und kleinere Klassen. Das ist mit Geld verbunden, welches bekanntlich nicht gerne für Bildung ausgegeben wird.
Wende: Wir würden es sehr gerne ausgeben, aber wir haben es nicht. Einerseits stimme ich der Aussage zu, dass es finanzielle Mittel braucht, um die Situation an unseren Schulen zu verbessern, andererseits fehlt aber auch schlicht das Know-How. Ein Beispiel: Wir wollen zukünftig die Sonderpädagogen so ausbilden, dass sie nicht nur über sonderpädagogisches Fachwissen verfügen, sondern auch in einem Schulfach – beispielsweise in Deutsch, Englisch oder Mathe – Expertise erhalten. Dann hätten wir die Möglichkeit, so ausgebildete junge Menschen sowohl als Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen an den Förderzentren wie auch als Fachlehrer und Fachlehrerinnen an den Regelschulen einzusetzen. Damit wäre viel gewonnen.
Pressident: Sie behaupten aber im Gegensatz zu anderen Befürwortern schon, dass Inklusion auch sehr viel Geld kostet?
Wende: Inklusion kostet Geld, benötigt gute Rahmenbedingungen, und dazu gehört selbstredend mehr als lediglich die zuvor angesprochene Inklusionskompetenz auf Seiten der Lehrkräfte. Insbesondere dort, wo Inklusion gut läuft, sehen wir, dass durch die Schaffung von Barrierefreiheit und die Einstellung von Assistenzkräften zusätzliches Geld in die Hand genommen wurde.
Pressident: Kennen Sie überhaupt die Probleme der Schulen vor Ort?
Wende: Ich denke schon! Ich rede mit ganz vielen Betroffenen, mit Lehrkräften, Schülern und Schülerinnen und natürlich auch mit Eltern. Das beginnt bei der Barrierefreiheit der Schulgebäude, aber das beinhaltet natürlich auch die Rahmenbedingungen von Unterricht, der natürlich viel anstrengender ist, wenn man z.B. einen geistig behinderten Schüler in einer Klasse hat.
Pressident: Inklusion ist ein gesellschaftliches Thema. Es braucht eine allgemeine Akzeptanz und ein Bewusstsein der Mehrheit der Bürger, die ein solches Zusammenleben befürworten und anstreben. Inwieweit herrscht hier noch Nachholbedarf?
Zum Teil ja, zum Teil müssen wir aber den Menschen auch die Ängste vor der Inklusion nehmen. Ich war zehn Jahre in den Niederlanden und dort geht man anders mit der gleichen Thematik um. In Deutschland hat man jahrelang separiert und deshalb ist es für viele Deutsche schlichtweg ungewohnt, dass man es auch anders machen kann.
Pressident: Müssen den Menschen Berührungsängste genommen werden?
Wende: Ganz genau! Es gab vor vielen Jahren in meinem Leben eine Situation, wo ich meine eigenen Defizite in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Behinderung hautnah erlebt habe. Als ich zu Besuch in einem Krankenhaus war und dieses wieder verließ, kam mir ein Rollstuhlfahrer entgegen. Und ich wusste nicht, ob ich ihm jetzt helfen soll. Total unter Stress wollte ich freundlich sein, ihn aber auch nicht bevormunden – ich bin damals nicht auf die simple Idee gekommen, ihn einfach zu fragen, ob er meine Hilfe wünsche. Dafür habe ich mich anschließend ziemlich geschämt.
Pressident: Es gibt Menschen, die das ganze System in Frage stellen. Auch der ARD-Film “Inklusion: Gemeinsam anders” kommt zu dem Schluss, dass Inklusion nicht immer praktizierbar ist.
Wende: Ich bin der Meinung, dass in einigen, sehr schweren Fällen, Inklusion nicht möglich ist. Wenn ich in Förderzentren unterwegs bin und auf Schüler mit erheblichen Behinderungen treffe, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass wir irgendwann einmal eine Inklusionsrate von 100% haben – zumindest nicht unter den jetzigen finanziellen Rahmenbedingungen.
Pressident: Zumal die meisten Lehrkräfte bereits jetzt überfordert sind.
Wende: Ich höre viel von Lehrkräften, die sich überfordert fühlen, und zwar unabhängig vom Thema Inklusion. Schulklassen sind nicht homogen, jeder Schüler und jede Schülerin ist anders – und darauf müssen sich die Lehrkräfte einstellen, sie müssen in der Lage sein, jede Schülerin und jeden Schüler individuell zu fördern und zu fordern, sie müssen in der Lage sein, eine Unterrichtsstunde binnendifferenziert anzulegen, nur dann ist Unterricht wirklich gut.
Pressident: Erzählen Sie das einem 50jährigen Lehrer, der seit 20 Jahren denselben Unterricht macht.
Wende: Es wird schwer. Deswegen ist Inklusion ein Thema, dass sozusagen ‘anwächst’ oder man könnte auch sagen, dass sich mit der Zeit ‘auswächst’.
Pressident: Wo liegen die Vorteile einer inklusiven Schule für die Schüler?
Wende: Zum einen nehmen die Berührungsängste ab. Zum anderen glaube ich, dass der Toleranzgedanke größer wird. Damit wir in die Köpfe bekommen, dass jeder Mensch anders ist und dass dies auch gut so ist. Aber auch die Hilfsbereitschaft ist ein wichtiger Faktor. Denn Schule ist nicht nur ein Ort, an dem Schüler intellektuell lernen, sondern an dem sie sich auch sozial entwickeln. Es geht immer um den ganzen Menschen, um seine intellektuellen genauso wie um seine sozialen und auch seine kreativen Potenziale.
Pressident: Ein Nachteil könnte sein, dass das Unterrichtsniveau sinkt.
Wende: Nur, weil man inklusiv arbeitet, heißt es nicht, dass das Unterrichtsniveau sinkt. Dieser Zusammenhang stimmt nicht.
Pressident: Es geht Zeit verloren, wenn Aussagen für hörgeschädigte Schüler wiederholt werden müssen. Dinge können nicht für die ganze Klasse erklärt werden.
Wende: Die Frage ist doch, ob Quantität das Wichtigste ist. In einer Lerngemeinschaft mit ganz unterschiedlichen Schülern profitieren die Leistungsschwachen von den Leistungsstarken, indem sie Lernstoff von ihnen vermittelt bekommen und es profitieren die Leistungsstarken von den Leistungsschwachen, indem sie lernen, Lernstoff zu vermitteln. Und nun könnte man sagen, die Schlauen verlieren doch Zeit, wenn sie den weniger Schlauen Dinge erklären, aber genau das ist zu kurz gedacht, denn auch die Schlauen profitieren vom Erklären: Man muss nämlich ein Thema schon sehr gut verstanden und durchdrungen haben, um es einem anderen Schüler näher zu bringen. Damit haben also beide etwas davon, die, die erklären und die, die etwas erklärt bekommen.
Pressident: Den Forderungen, dass die fachlichen Anforderungen des Unterrichts steigen sollten, damit Deutschland z.B. die PISA-Defizite aufholt, würden sie also nicht zustimmen?
Wende: Dem würde ich nicht zustimmen. Schauen Sie sich die Selbstmordrate in Japan an! Wir brauchen in der Schullandschaft mehr Gelassenheit und wir sollten den Schülern und Schülerinnen mehr Zeit lassen. Kreativität, Einfühlungsvermögen und Sozialkompetenzen sind mindestens genauso wichtig wie die Frage, ob jemand höhere Mathematik beherrscht.
Pressident: Würden Sie einem Lehrer jemals sagen: “Lassen Sie doch das letzte Thema, das im Lehrplan steht, weg. Wichtiger ist, dass die Schüler Sozialkompetenz lernen!”
Wende: Als ich noch Professorin war, habe ich zu Beginn eines jeden Semesters einen Seminarplan erstellt. Und ich bin fast immer von diesem Plan abgewichen, wenn ich z.B. gemerkt habe, dass der Kurs eine Thematik noch nicht richtig verstanden hatte. Gegenfalls bin ich dann mit den Inhalten nicht durchgekommen, aber ich wusste: Das, was wir gemacht haben, haben die Studierenden tatsächlich verstanden!
Pressident: Ist die Fortsetzung des Inklusionsgedanken eine Einheitsschule?
Wende: Einheitsschule würde ich so nicht sagen wollen. Der Begriff unterstellt, dass Schüler und Schülerinnen als uniform und entindividualisiert gedacht werden. Genau das aber darf nicht unser Ziel sein: Schüler und Schüler sind individuell, jeder ist anders als der andere, und es ist gleichwohl möglich, dass alle miteinander lernen. Aus diesem Grund bin ich für den Begriff Gemeinschaftsschule, hier wird das soziale Element, das Miteinander in der Schule betont.
Pressident: Was ist mit der Abschaffung der Gymnasien?
Wende: Viele Schüler und Lehrer wünschen sich die Gymnasien und schon deswegen möchte ich sie nicht abschaffen. Aber ich möchte die zweite Schulform, die Gemeinschaftsschule, zu einer ebenso leistungsstarken Schule entwickeln. Auch als Schüler oder Schülerin einer Gemeinschaftsschule kann man Abitur machen, nur eben auf einem anderen Weg, der deswegen aber kein schlechterer Weg ist, er ist nur eben anders. Beide Schulformen, Gymnasien und Gemeinschaftsschulen, sollen nebeneinander bestehen, pädagogisch unterschiedlich arbeiten, aber gleichwertig sein.
Pressident: Auch wenn die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind, werden Sie vermutlich nicht einfach rumsitzen und nichts tun. Was machen Sie als Bildungsministerin, um die inklusive Situation zu verbessern?
Wende: Zum einen nehme ich – wie bereits erwähnt – großen Einfluss auf die Lehrerausbildung. Zum anderen werde ich mich in Kürze mit der Sozialministerin (Anm. d. Red.: Kristin Alheit, ehemalige Pinneberger Bürgermeisterin) zusammensetzen, um über Qualifizierungsmaßnahmen für Inklusionshelfer zu sprechen. Bislang kann jeder Inklusionshelfer werden, ohne jedwede Vorabschulung. Das sollten wir ändern. Gleichzeitig bemühe ich mich, gemeinsam mit den Schulministerinnen und Schulministerinnen der übrigen 15 Bundesländer um finanzielle Mittel vom Bund.
Pressident: Würden Sie sich wünschen, wenn Inklusion bundesweit von allen Ländern gemeinsam angegangen werden würde?
Wende: Das hört sich für manche Ohren möglicherweise sinnvoll an, alle Länder machen es so, wie Berlin es vorgibt, doch wer sagt uns, dass über zentrale Steuerung die besseren Lösungen gefunden werden. Jedes Land muss seinen Weg gehen und wir in Schleswig-Holstein müssen uns bei dieser Thematik nicht verstecken.
Pressident: Was ist mit einem Schüler, der von Schleswig-Holstein nach Niedersachsen umzieht? Kann er dort keine Regelschule mehr besuchen – Niedersachsen hat eine der schlechtesten Inklusionsquoten?
Wende: Sollen wir in Schleswig-Holstein deswegen weniger inkludieren? Das ist ein sehr gutes Beispiel, wir in Schleswig-Holstein müssen unseren eigenen Weg gehen, und sollten uns nicht durch andere Länder ausbremsen lassen.
Pressident: Man könnte einen gemeinsamen Konsens finden.
Wende: Nehmen wir das Bundesland Bayern als Beispiel. Dieses ist laut UN-Konvention genauso zur Inklusion verpflichtet wie wir und trotzdem findet Inklusion dort lediglich in Ansätzen statt. Gleichschritt im Konsens würde häufig Stillstand bedeuten, oder aber Gleichschritt in einem sehr, sehr langsamen Tempo.
Pressident: Welche Gründe haben solche Länder, das Thema Inklusion nicht voranschreiten zu lassen?
Wende: Bedenkenträger haben immer und überall Hochkonjunktur, und die Angst davor, Dinge anders zu tun als man sie immer getan hat, ist meistens größer als der Mut, den es braucht, um Neuland zu betreten.
Pressident: Seit der UN-Konvention ist Kritik an der Inklusion ein Tabu geworden. Umso härter wird dafür das Inklusionskonzept in den Foren im Internet oder auf Stammtischen auseinandergenommen. Verfolgen Sie solche Debatten?
Wende: Ich will sie gar nicht hören! Solche Schimpftiraden sind unter der Gürtellinie.
Pressident: Und wenn die Kritik sachlich ist?
Wende: Dann kommt sie mir auch zu Ohren. Und sie ist mir so wichtig, dass wir in den ersten Wochen unserer Regierung 300 Stellen an die Schulen zurückgegeben haben, die die Vorgängerregierung gekürzt hat, davon haben wir 120 Stellen für die Verbesserung der Inklusion eingesetzt. Das ist zu wenig, aber man merkt: Inklusion ist eine Herausforderung, der ich mich stelle, ich setze mich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen Schritt für Schritt besser werden.
Pressident: Wir reden die ganze Zeit über Inklusion, dabei wissen viele überhaupt nicht, was Inklusion ist. Braucht es noch mehr aufklärerische Arbeit?
Wende: Da muss man in der Tat genauer darüber nachdenken. Das Wort Integration werden die meisten Menschen kennen. Das Thema ist ähnlich, aber der Begriff hat sich geändert.
Pressident: Alles in allem: Sind Sie stolz auf das Inklusionskonzept in Schleswig-Holstein, auch wenn Sie sagen, dass noch Nachbesserungen von Nöten sind?
Wende: Ich bin in der Tat stolz darauf! Inklusion ist ein Thema, wo wir den anderen Ländern zeigen können, dass Inklusion funktionieren kann, ich bin der festen Überzeugung: Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg.
Pressident: Wie sieht bei Ihnen die inklusive Schule in vier Jahren aus?
Wende: In vier Jahren sind die ersten Lehrer, die nach meinem Modell studieren, kurz davor, ihre Ausbildung zu beenden. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir alle miteinander darüber schmunzeln, wenn wir uns daran zurückerinnern, dass wir einmal Angst davor hatten, die Inklusion könne misslingen.
Pressident: Dann brauchen Sie auch keine Interviews mehr zu diesem Thema zu geben. Vielen Dank für das Gespräch!
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