Mord an der THS!

Nebel und leichter Nieselregen. Es war doch gerade eben noch Sommer gewesen. Täuschte er sich oder ging jedes Jahr schneller vorbei? Er trat energischer in die Pedale und machte kurz darauf eine Vollbremsung und kam kurz vor den Fahrradständern am Haupteingang der THS zum Stehen. Es war Montag und das leicht in die Jahre gekommene Schulgebäude im Halbdunkeln machte einen eher tristen Eindruck. Nachdem er sein Fahrrad angeschlossen hatte, schritt er zügig auf die gelben Türen zu. Geradeaus am Kopierraum vorbei. Drinnen standen gerade der Musikreferendar Herr Korianda mit einer Tasse Kaffee in der Hand und seine ehemalige Mathelehrerin. Beide sahen nicht auf als er vorbei ging. Er verlangsamte sein Tempo etwas und genoss die Ruhe und Leere des ansonsten so überfüllten und lärmigen Korridors zwischen Sekretariat und Lehrerzimmer. „Guten Morgen, Timo!“, begrüßte ihn der Schulleiter höchstpersönlich im Vorbeigehen. „Guten Morgen!“, antwortete Timo überrascht, noch jemanden anzutreffen. „Ganz schön viel los für diese Uhrzeit.“, dachte er bei sich. Der Grund für sein frühes Erscheinen war eine Probe der Theater-AG. Er hatte sich freiwillig gemeldet, ein paar Requisiten zusammenzusuchen. Dazu brauchte er aber noch den Schlüssel zum Requisitenraum im Oberstufentrakt. Vorsichtig spähte er durch die Tür ins Lehrerzimmer hinein. Frau Grusche, seine Klassenlehrerin und Leiterin des Theaters, lächelte ihn an und schob ihren Stuhl zurück. „So früh dran?“ „Ja, irgendjemand muss das ja machen…“ „Nett von dir.“ Er gähnte. „Ja es ist ganz schön spät geworden gestern. Aber jetzt seid ihr fit für die Aufführung.“ Sonntag hatte er fast ausschließlich in der Schule verbracht. Zwar hatte er damit immerhin viel Zeit mit seiner Freundin gehabt- sie war ebenfalls in der Theater-AG-doch ging ihm die ständige Proberei auf die Nerven. In zwei Wochen war die Uraufführung der Neuauflage von Goethes Faust.

Erneut passierte er den Kopierraum, doch mittlerweile war jener verwaist. Jetzt nach links und wieder rechts, an der Aula vorbei. Die Chemieräume lagen friedlich da, als könnten sie kein Wässerchen trüben, dabei hatten sie Freitagvormittag noch einen ekelhaften Gestank abgesondert, der an faule Eier erinnerte. Er stutzte. Eigentlich war es nicht ungewöhnlich, dass die Energiespartüren am Ende des Ganges weit offen standen, obwohl große Aufkleber zu Gegenteiligem aufforderten. Aber zumindest am Freitagnachmittag machte der Hausmeister normalerweise alle Türen zu. Vielleicht hatte nach der Probe gestern jemand die Tür offenstehenlassen. Er kreuzte das Foyer. An der Pinnwand klebte ein gelber Zettel, der schief und nur an einer Seite befestigt war. Er steckte den Schlüssel ins Schloss. Seltsam. Es war nicht abgeschlossen. Er öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Während er einen Schritt in den Raum trat, flackerte die Leuchtstoffröhre auf. Fast hätte er aufgeschrien. Die Panik stieg siedend heiß in im hoch, denn was da auf dem Boden lag war keine Kulisse für den Faust, sondern ein bleiches Gesicht. Bleich, regungslos und bis auf eine kleine Pfütze roter Flüssigkeit am Kopf scheinbar völlig unversehrt. „Hannes!“, schrie Timo. „Hörst du mich?“ Stabile Seitenlage hatte er beim Schulsanitätsdienst gelernt. Doch schon als seine Hände Hannes berührten merkte er, dass es sinnlos war, weil von dem Körper am Boden nichts ausging, als Kälte und ein seltsam unbeteiligter Blick ins Nirgendwo. Timo sackte in sich zusammen. Warum? Was war hier los? Sein bester Freund tot in der Schule? Erst jetzt fiel ihm der Kartenständer auf, der quer auf dem Boden lag. Auf etwa zwei Dritteln Höhe klebte ebenfalls etwas. Blut! Timo war mit einem Satz auf den Beinen. Mord! schoss es ihm durch den Kopf. Zitternd und ohne nachzudenken, kramte er sein Handy aus der Tasche. Er musste den Pin eingeben, vertippte sich in der Aufregung jedoch. Dummes Handyverbot! Endlich gelang es ihm. 110. „Nortrufzentrale“, meldete sich eine Frau. „Hallo… hier ist Timo Mahler. Mein Freund ist ermordet worden. Im Requisitenraum der THS.“, stammelte er. „Soll das ein Scherz sein?!“, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung erbost. „Nein. Ich…ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Wahrscheinlich klang er nun so verzweifelt, dass die Frau am anderen Ende nachgab: „Okay ich schicke Polizei und Notarzt in die Datumer Chaussee.“ Vor Timos Augen drehte sich alles. Er lehnte sich gegen die Wand und sackte langsam nach unten. Auf einmal überkam ihm die Traurigkeit. Sein bester Freund war tot. Hannes hatte ihn wirklich verstanden, besser als jeder andere.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit sah er einen Trupp bestehend aus zwei uniformierten Polizisten, zwei Notärzten mit übergesteiften Hygienehandschuhen und an der Spitze seinen Schulleiter auf sich zukommen. Letzterer redete aufgeregt vor sich hin: „Eine Leiche? Hier? Beim besten Willen, das kann ich mir nicht vorstellen. Das muss ein grausamer Schülerstreich sein.“ Einer der Polizisten versuchte ihn zu beruhigen: „Wir werden das überprüfen, machen Sie sich mal keine Sorgen.“ „So, hier ist der Requisitenraum.“, erklärte der Schulleiter. „Oh Gott! Ist er etwa?“ Die Notärzte brauchten nicht lange. „Der Junge ist tot. Eindeutig Gewalteinwirkung im Spiel. Der Raum gehört euch!“ Es dauerte nicht lange bis zwei weitere Polizisten eintrafen und schließlich ein Mann in Zivil. Er ging leicht gebückt und hatte nur noch einen Kranz Haare rund um seinen Kopf herum. „Mein Name ist Heinz Bärlauch. Ich hätte ein paar Fragen an sie! Ich würde vorschlagen, wir drei gehen in ihr Büro?“, sagte er an Timos Schulleiter gewandt und bedeutete Timo ihm zu folgen. „Ich liebe die neue Technik nicht. Bitte warten Sie mit der Spurensicherung noch, bis ich da bin. Ich möchte mir den Tatort zunächst selbst ansehen“, meinte er noch zu einem Uniformierten. Die Schule hatte sich mittlerweile gefüllt. Dutzende neugierige Schüler allen Altersstufen tummelten sich vor dem Absperrband, das die Polizisten hastig gespannt hatten. Es gab neugieriges Getuschel. Timo hoffte, dass keiner den Anblick von Hannes ertragen müsste. Auf dem Weg zum Büro ertönte das prägnante Läuten der Schulglocke, von dem Timo hoffte, dass es ihn von den durchdringenden Blicken seiner Mitschüler erlösen würde. Doch anders als sonst blieben große Trauben von Schülern auf den Korridoren stehen und überboten sich gegenseitig mit Spekulationen über das Geschehen an diesem Montagmorgen. Auf Höhe des Krankenzimmers kam ihnen Frau Grusche entgegen, wandte sich an den Schulleiter und wollte aufgeregt wissen: „ Was ist hier los?!“ Anstelle des Angesprochenen entgegnete Bärlauch entspannt: „Ich würde Ihrem Kollegen und diesem jungen Zeugen gern im Büro einige Fragen, bezüglich eines Vorkommnis letzte Nacht stellen. Beruhigen Sie bitte inzwischen Ihre Schüler und fahren Sie wie gewohnt mit dem Unterricht fort.“ Frau Grusche nickte stumm und setzte, wenn auch scheinbar verwundert, ihren Weg den Korridor entlang fort.

In dem Büro des Schulleiters angekommen, wurde ihm ein Platz am großen, gläsernen Tisch angeboten, den mehrere Glaselefanten zierten. Durch die Fensterfront konnte man einige Fünftklässler sehen, die verzweifelt versuchten, noch pünktlich zum Unterricht zu kommen und auf dem Zufahrtsweg zu den Fahrradständern fast einen Unfall bauten. Timo beneidete sie auf einmal für ihr Unwissen, was für schreckliche Dinge vorgefallen waren und wünschte sich, ebenfalls ein ahnungsloser Schüler zu sein, der jetzt irgendwo saß und binomische Formeln lernte. Sein Blick fiel auf den sich im nun gegenüber platzierenden Kommissar. Neben ihm nahm der Schulleiter Platz und einer der Polizeibeamten blieb in der Nähe der Tür stehen und behielt den ganzen Raum im Blick. „Sie kannten den Toten?“, brach Bärlauch das Schweigen. Timo schluckte. „Allerdings. Das war Hannes Castrop. Mein bester Freund.“ Bärlauch begann sich nun auf kleinen gelben Haftnotizzetteln Stichworte aufzuschreiben. Timo überlegte, ob diese Methode der Protokollführung wirklich gängige Polizeiarbeit war oder nur ein Provisorium darstellte. „Wer war denn alles gestern-“ Doch Bärlauch wurde durch das jähe Aufspringen der Tür unterbrochen und alle wandten plötzlich ihren Blick auf die andere Seite des Büros, wo der Beamte ins Taumeln geriet, da er die Bürotür ins Gesicht geschmettert bekommen hatte. Wer zur Hölle platzte derart unwirsch in diese Unterhaltung?

So wird es weitergehen: Mit 8:5 Stimmen habt Ihr entschieden, dass sich Timo bedeckt halten soll, anstatt dem Kommissar all sein Wissen zu erzählen. Der 2. Teil erscheint Mitte Oktober!

2 Kommentare

  1. lasse.rosenbaum@t-online.de' Lasse Rosenbaum sagt:

    Hallo.
    Ich fand die Geschichte toll und würde sie gern noch zuende lesen. Mehr davon!

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