Einmal im Jahr ist es immer soweit. Es tauchen viele neue Gesichter in den Klassen auf. Dann weiß man: Der Kiew-Austausch ist wieder im vollen Gange! 22 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine besuchten mit drei Lehrerinnen die THS. Während es in den letzten Jahren Schwierigkeiten gab, genügend Schüler zu finden, herrschte in diesem Jahr sogar so großer Andrang, dass einige auf die Warteliste für den nächsten Austausch gesetzt werden mussten.

Dienstag, 01.05.2012, Bahnhof Pinneberg: Alle deutschen Teilnehmer des Austausches standen mit gemischten Gefühlen am Bahnhof – besonders die, die noch nie teilgenommen haben. Natürlich war einerseits eine große Vorfreude zu erkennen. Andererseits gab es auch gewisse Befürchtungen, ab sofort fast zwei Wochen mit jemandem nicht kommunikativen, eher Probleme bereitendem Menschen verbringen zu müssen.
Als der Zug dann in den Bahnhof einfuhr und die Austauschpartner ausstiegen, herrschte zunächst ein wenig Verwirrung. Wer ist denn hier überhaupt mein Austauschschüler? Doch wer sucht, der findet. So machten sich die deutschen Familien schließlich nach und nach mit ihren Gästen auf den Weg nach Hause.

Dort angekommen wurden die Familien mit Geschenken aus der Ukraine geradezu überhäuft. Nachdem man sich über die derzeit viel diskutierte politische Situation in der Ukraine ausgetauscht hatte, wurde lange über Skype in die Heimat telefoniert: „Так, ми благополучно прибули!“ (Ja wir sind gut angekommen!) „Я в порядку. Що ви робите?“ (Mir geht es gut. Was macht ihr so?).

[bq_left]Dieser Artikel entstand im Rahmen des Deutschland-Besuches der Kiewer. Geschrieben haben

Jascha
Jan
Ruben

zusammen mit ihren ukrainischen Austauschpartnern. [/bq_left]

Die anfänglichen Bedenken bestätigten sich keinesfalls. In den Familien wurde über Unterschiede zwischen Deutschland und der Ukraine berichtet – sowohl kulturelle, politische als auch gesellschaftliche.
Es gibt viele Dinge, die den Austausch unserer Theodor-Heuss-Schule mit der ukrainischen Schule Nr. 14 einzigartig machen. Die Freundschaft zwischen Deutschland und der Ukraine wird gestärkt. Das ist natürlich in dieser schwierigen Zeit wichtig. Während die Ukrainer auf der einen Seite berichten, dass sie viele neue Seiten der deutschen Sprache kennenlernen, erfahren sie auch viel aus der, wie wir alle wissen, sehr bewegten deutschen Geschichte. Sie lernen Traditionen kennen, die westliche Kultur. Beispielsweise wenn sie mit ihrer Gastfamilie einen Gottesdienst besuchen, aber auch die regulären Aktionen, an denen alle teilnehmen, sind sehr interessant.

KIEW

KIEW

Vieles, was wir als alltäglich empfinden, ist für die Schüler aus Kiew völlig neu. Da ist einerseits Kulinarisches wie Fischbrötchen an der See und Marzipan in Lübeck. Aber auch die Freizeitaktivitäten der Deutschen sind für die Gäste ausgesprochen interessant. „So würden in den Familien Spiele, die die Sprachkenntnisse erweiterten, gespielt“, sagt eine Lehrerin aus der Ukraine. Aber auch die Haltung von Haustieren und Nutztieren in Deutschland erweckt die Aufmerksamkeit der Austauschschüler. Was ihnen auch auffällt, ist, dass hier in Deutschland viel gelesen wird. In Zeitungen wie in Büchern. “Die Architekturstile in deutschen Altstädten seien ebenfalls sehr interessant.”, berichtet die Lehrerin.

Es wurde verglichen. Das Durchschnittsbruttojahreseinkommen eines Deutschen (41000€) mit dem eines Ukrainers (2730€). Gesprochen wurde auch über die dadurch entstehenden Gefälle zwischen den Ländern.
Andere entscheidende Unterschiede: 1) In der Ukraine gibt es kaum eine Mittelschicht wie in Deutschland, sondern fast nur die Armen und die Reichen. 2) Die Korruption floriert, wie in nur wenigen anderen Ländern
Auch Schulleiter Matthias Beimel findet es sehr wichtig, persönliche Kontakte mit einem Teil Europas zu knüpfen, den man unter anderen Umständen nicht so in den Blick nimmt: „Es ist schön, Kenntnisse über die Zukunftspläne und die Vorstellung vom Glück der Kiewer zu erlangen. Europa besteht auch aus Osteuropa, das darf nicht in Vergessenheit geraten.“
So berichten die Kiewer aus ihrer Heimat, und stellten viele Fragen – beispielsweise was wir von der Kanzlerin halten.

Einige der Schüler wollen später auch in Deutschland leben

Die Austauschschüler mögen Deutschland offensichtlich sehr gerne. Ein Schüler sagt: „Hier gibt es ein gutes Verkehrsnetz und doch viel Natur. Es ist sehr modern hier.“ Ein anderer sagt schlicht und einfach: „Alles in Deutschland ist gut!“. Einige der Schüler wollen später auch in Deutschland leben und arbeiten.

Damit den Schülern nicht langweilig wurde und damit sie jede Menge Eindrücke von Deutschland mit nach Hause nehmen können, sah das Programm jede Menge regionale und überregionale Höhepunkte vor.
Am Donnerstag besuchten die Schüler den A. Beig Verlag und hörten einen Vortrag des Chefredakteurs. Im Anschluss besichtigten sie die Druckerei, in der unter anderem das Pinneberger Tageblatt gedruckt wird.
Wie bei jedem Kiew-Austausch war auch in diesem Jahr der Berlinbesuch zentraler Programmpunkt. Natürlich durften dort auch eine Besichtigung des Bundestages und ein anschließender Rundgang durch die Stadt nicht fehlen.

Mittags gab es einen kleinen Imbiss im Abgeordnetenhaus an der Spree.
Für die Kiewer war es besonders interessant, auch die berühmten Sehenswürdigkeiten anzuschauen, darunter war selbstverständlich das Brandenburger Tor, das Holocaust Denkmal, das Sony Center und der Gendarmen Markt. Am Wochenende konnte jede Gastfamilien ihr Programm selbst bestimmen. Viele waren mit anderen Austauschschülern und deren Familien beim Grillen oder an der Elbe.
Am Montag ging es nach Hamburg – zur Sightseeing-Tour. Dienstag freuten sich alle darauf, zum Musical „König der Löwen“ zu fahren und nach einem Besuch bei n-joy Radio und Radio Hamburg fand am Donnerstag eine Exkursion nach Lübeck statt.

Der Freitag war der letzte Tag für die Kiewer und dort wurden unsere Projekte präsentiert. Abends war die Verabschiedung von den Familien mit einem leckeren Essen. Samstag fuhren die Kiewer auch schon wieder. Aber hier ist man sich sicher, dass es für alle eine tolle Erfahrung war und sich schon alle auf die Fahrt im September nach Kiew freuen.

Verständigungsschwierigkeiten?

Man freundet sich nämlich schnell an. Da ist zum einen die Begeisterung der Ukrainer über Deutschland, zum anderen auch die Faszination der Deutschen, die etwas von einem völlig anderen Land erfahren. Ein Land, in dem nur die Wenigsten sich viel leisten können, aber alle versuchen, mit dem, was sie haben, auszukommen. Ein Land, in dem man wenige Aufstiegschancen hat. Doch die Deutschkenntnisse geben den Ukrainern eine wahrscheinlich auch berechtigte Hoffnung, irgendwann einmal genügend Geld zu verdienen.

Die Verständigung im Allgemeinen zwischen den Austauschpartnern funktioniert sehr gut. Die Ukrainer lernen alle seit der ersten Klasse Deutsch und seit der fünften Klasse Englisch. Trotzdem gibt und gab es vor allem am Anfang des Austausches Verständnisschwierigkeiten, da manchmal zum Beispiel Wörter oder Sätze nicht verstanden oder erklärt werden konnten. Diese Komplikationen wurden kreativ und auf verschiedene Weise schnell gelöst: Einige verständigen sich mit einem Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Zeichensprache, ein paar andere machten es sich einfacher und benutzen einen Übersetzungsdienst im Internet. Drei der deutschen Schüler reden auch russisch oder ukrainisch, diese haben es natürlich sehr viel leichter, sich zu verständigen. Man sollte, wenn man mit einem Ukrainer auf Deutsch redet, auf jeden Fall beachten, sehr langsam und deutlich reden, einfache Wörter zu verwenden und keine Silben zu verschlucken oder Abkürzungen zu verwenden.

Wenn man beim Austausch mitmacht, kann man einzigartige Freundschaften schließen, die über die deutschen Grenzen hinausreichen und die nicht nur für die Zeit halten, wo man sich sieht, sondern auch über das Internet weitergeführt werden können. Einen ukrainischen Freund zu haben ist etwas anderes.

Man unterhält sich nicht über die Schule, sondern über die Lage in der Ukraine oder über Deutschland. Es ist eine Erfahrung mit jemandem in einem Haus zu schlafen, den man kaum kennt und der eine andere Sprache spricht. Ein paar Schüler fahren regelmäßig immer zu dem gleichen Austauschpartner, dort haben sich einige sehr feste Freundschaften entwickelt.
Die meisten deutschen Schüler haben im Voraus des Austausches vermutlich erwartet, dass es zwischen Deutschen und Ukrainern beim Lebensstil und beim kulturellen Aspekt viele Unterschiede gibt. Doch diese Vorstellung hat sich nicht bewahrheitet. Die Kiewer gehen genauso wie wir jeden Tag in soziale Netzwerke, wie Facebook, Twitter oder Skype, sie hören die gleiche Musik, haben dieselben Handys, schauen die gleichen Filme und kleiden sich so, wie wir es auch tagtäglich tun.

Freude auf den Gegenbesuch

Der Austausch ist seit 2001 an der THS etabliert. Eingefädelt in Eigeninitiative von Hanspeter Gunsilius leiten heute Brigitte Schulz und Torsten Göckens den Austausch. Jedes Jahr ist es eine Herausforderung für beide, genügend geeignete Familien in Kiew zu finden, bei denen die Lebensbedingungen und Wohnverhältnisse stimmen und die einigermaßen gut deutsch sprechen.
Gefördert wird der Kiew-Austausch mit bis zu 9000,- von dem „Pädagogischen Austauschdienst“ und der Stiftung „West-Östliche-Begegnung“. Dadurch ist es möglich den Kiewern den Aufenthalt in Deutschland zu finanzieren.

Beide Seiten nehmen viel aus dem Austausch mit. Die ukrainischen Schüler entwickeln ihre deutschen Sprachkenntnisse weiter. Kulturelle Gewinne gibt es auf beiden Seiten. Und am Ende hat man vielleicht auch noch den einen oder anderen Freund dazugewonnen. Alle freuen sich auf den Gegenbesuch im September!

Ein Kommentar

  1. Hey! Gut geschrieben) Ich war auch dreimal daran beteiligt. Gute Sache fur alles : Freunde finden, Sprache lernen, reisen…Ist doch wahnsinnig!!!
    Schade, dass es in der Vergangenheit ist. Jetzt das Studium – und Traeume vergessen!

    GruB aus Kiew!

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