Mit dem Internet wurde uns eine neue Welt zur Verfügung gestellt. Hier kann man shoppen, Musik hören, diskutieren und neue Leute kennenlernen. Und das alles mit nur wenigen Klicks. Auf sozialen Netzwerken spielt sich heutzutage das Leben ab. Sie bieten uns die Möglichkeit, rund um die Uhr mit unseren Freunden in Kontakt zu bleiben und über zwischenmenschliche Beziehungen immer auf dem neuesten Stand zu sein. Nebenbei vernetzen sie einen Großteil der Menschheit und stellen somit ein Mittel da, im Internet neue Kontakte zu knüpfen. Und das scheint wunderbar einfach zu sein.

Ein Klick – und die Freundschaftsanfrage ist abgeschickt. Den Jungen, der sie erhält, habe ich zwar noch nie gesehen, kenne jedoch schon seinen Namen, Geburtstag, Schule und auch wesentlich persönlichere Informationen wie Hobbys, Lieblingslieder, -filme, -sendungen und seinen Beziehungsstatus. Ich weiß dank gut gefüllter Fotoalben auch, wie er aussieht und wo er letztes Jahr im Urlaub war. Ich weiß, mit wem er was letzte Woche gemacht hat. Aber aufgrund dieser Informationen, die ich scheinbar ohne jegliche Mühe erhalten habe, verschwindet gleich ein Teil meiner anfänglichen Euphorie. Wo bleibt die gewisse Unwissenheit, die Aufregung des Neuen und Unbekannten?

Doch er nimmt meine Freundschaftsanfrage an – natürlich tut er das. Kanadische Forscher der University of British Columbia haben 2011 eine Studie durchgeführt, in der sie 5000 Freundschaftsanfragen von attraktiv gestalteten Profilen aus versandt haben. 976 Nutzer haben angenommen – ohne zu wissen, wer die Person, mit der sie nun „befreundet” sind, eigentlich ist. Mein neuer Bekannter kennt mich ebenso wenig und doch gehöre ich nun zu seinen 877 Freunden. Wenigstens hat er mir eine Nachricht geschrieben, in der er nachgefragt hat, wer ich denn sei – nachdem ich bereits auf seiner Freundesliste stand. Meine Chance, die Situation auszunutzen und ein „Gespräch“ zu beginnen. Worüber? Gute Frage. Ich weiß nun ja schon so gut wie alles über ihn. Ich spreche ihn einfach etwas unbeholfen auf eines seiner Hobbys an. Während wir im Zehn-Minuten-Takt schreiben, klicke ich mich etwas durch seine Freundesliste. Was wäre eigentlich, wenn ich nicht ihm diese Anfrage geschickt hätte, sondern einem seiner Freunde oder wiederum einem Freund von diesem Freund? Im Mai 2011 gab es laut einer Statistik von Facebook Adplanner in Deutschland rund 1,7 Millionen männliche Facebooknutzer im Alter von 13-17 Jahren. Und dabei muss ich mich gar nicht nur auf Deutschland beschränken, immerhin sprechen wir hier vom „World Wide Web“. Mir steht sozusagen die ganze Welt offen, ich kann zu Leuten auf der anderen Seite der Welt Kontakt aufnehmen – und das alles mit nur wenigen Klicks. Bei solch einer Auswahl muss man schon wissen, was oder wen man sucht und genaue Vorstellungen haben. Wer diese nicht erfüllt, ist raus. Das verlockt dazu, den vermeintlich perfekten Partner zu suchen. Und wenn ich so über meinen neuen Bekannten nachdenke… vielleicht gibt es ja irgendwo jemanden, der mir noch besser gefällt?

Zuerst einmal belasse ich es jedoch dabei. Was mich an dieser ganzen Online-Geschichte allerdings stört, ist, dass ich an meine Oberflächlichkeit gebunden bin. Eine Person aufgrund eines Bildes und seiner Interessen zu bewerten, widerspricht eigentlich meinen Vorstellungen. So kann ich wichtige Aspekte wie Ausstrahlung zum Beispiel überhaupt nicht miteinbeziehen, sei auch das Bild mit der neuesten Spiegelreflexkamera aufgenommen. Keine Millionen an Pixel können einen wirklichen, realen Augenblick ersetzen, in dem man einem Menschen gegenübersteht. In dem er das gewisse Etwas ausstrahlt. Ich hab nur ein leeres Fotolächeln, das nicht den geringsten Ausdruck hat. Selbst wenn man sich per Video sieht, ist das kein Ersatz für eine Begegnung. Vielleicht eine Übergangsmöglichkeit, aber sicherlich keine Basis für eine lang anhaltende Beziehung. Überhaupt scheint die Online-Beziehung nur das zu sein – eine Übergangsmöglichkeit. Schon jetzt, nachdem ich eine Weile mit meinem neuen Bekannten geschrieben habe, will ich ihn sehen und genau wissen, wer er ist. Blöd nur, dass er sich über 500 km von mir entfernt befindet. Und bevor ich meine Ersparnisse für Fahrkarten zu einem vermeintlich Unbekannten ausgebe, überlege ich mir alles doch lieber noch einmal ganz genau. Und bevor ich überhaupt dazu kommen könnte, über Fahrkarten,  Ferienzeiten und all das nachzudenken, frage ich mich erst mal, wie ich meine Eltern überzeugen soll. Die stehen derartigen Beziehungen ja eh in den meisten Fällen sehr skeptisch gegenüber. Der Auslöser für diese Skepsis ist, denke ich, dass sie selber nicht mit dem Internet aufgewachsen sind und deswegen mit dieser neuen Situation nicht recht umzugehen wissen und lieber die negativen als die positiven Seiten sehen. Schnell werden Dinge in den Raum geworfen, die auf Vergewaltiger, Pädophile oder sonstige Verbrecher, die sich im Internet herumtreiben könnten, anspielen. Natürlich muss man vorsichtig sein, und nur ein Profil reicht sicherlich nicht aus, um sagen zu können, dass man den neuen Bekannten mag. Doch bei Kontakten, die man schon länger kennt und mit denen man sich schon via Telefon und Videochat ausgetauscht hat, ist die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, doch deutlich geringer als bei anonymen Chatbekanntschaften.

Natürlich ist das alles immer mit einem gewissen Risiko verbunden, doch somit hat die ganze Beziehung auch ihren Reiz. Ein kleines Geheimnis bleibt eben doch immer durch diese Distanz. Kommt es dann wirklich zum Treffen, wird es ernst. Hier stellt sich dann heraus, ob die Beziehung wirklich real ist, oder nur im Internet existieren kann. Das erste Date hat auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Schließlich kennt man sich schon – denkt man. Doch die Realität ist dann ganz anders, wie ich selbst erfahren habe. Meine Freundin hat ebenfalls über ein soziales Netzwerk einen Freund kennengelernt, und als dieser sie das erste Mal besuchen kam, sollte ich als Unterstützung dabei sein. Wie eine Art Dolmetscherin saß ich daneben und habe versucht, zu vermitteln. Peinliche Stille wäre an dieser Stelle eine deutliche Übertreibung. Denn wer im Internet locker drauf ist, ist das noch lange nicht im „echten“ Leben. Die Distanz zum Gesprächspartner macht nahezu unantastbar. Vorteil für alle Mauerblümchen dieser Welt: Das Ganze erst einmal langsam angehen lassen, und sich ganz cool zeigen. Blöd nur, wenn der andere am Ende ein völlig anderes Bild von einem hat, und sich das Ganze nach dem ersten realen Treffen als totaler Reinfall herausstellt – für beide Seiten. Diese Unantastbarkeit lädt einige leider auch dazu ein, sich einen Spaß zu machen und die Situation voll auszunutzen. Man kann eben nie genau wissen, was der andere gerade tut. Problematisch, wenn man selbst die Sache ernst nimmt. Mit Vertrauen muss vorsichtig umgegangen werden. Denn im Internet ist das Risiko, eine Enttäuschung zu erleben, deutlich höher als in der Realität, gerade eben weil man die Person auf der anderen Seite vielleicht doch gar nicht so gut kennt, wie man denkt. Doch zu viel Skepsis kann auch zum Verhängnis werden und zum Kontrollzwang ausarten. Und das ist sicherlich auch ein Grund, warum Online-Beziehungen oft scheitern. Es ist einfach viel zu schwer, die Balance zwischen Miss- und Vertrauen zu finden. Außerdem besteht schnell die Möglichkeit, dass der Kontakt einschläft. Die anfängliche Begeisterung verfliegt oft viel schneller, als man wahrhaben will.

Ich habe meinen neuen Bekannten zwar gerade erst kennengelernt, habe jedoch die beruhigende Gewissheit, dass ich, falls es mit ihm nicht klappt, immer noch Millionen von Alternativen vor mir habe. Irgendwo in dieser Menge wird er schon sein, der, den ich suche. Aber irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass ich in der Realität besser aufgehoben bin. Vielleicht bin ich damit altmodisch, aber Beziehungen sind für mich immer noch etwas, das wir in der realen Welt beibehalten sollten. Denn so wie wahre Freundschaft durch soziale Netzwerke an Wert verloren hat, könnte das gleiche mit der Liebe geschehen.

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Autor:

Redakteurin bei Pressident seit 2011

4 Kommentare

  1. Schöner Artikel, gefällt mir sehr! :)

    (Verena aus Düsseldorf)

  2. Ich finde dieser Artikel ist eine gelungene Mischung aus Realität und Träumen – sauber recherchiert!

    Als ich als Schüler an der THS war, war ich fast jeden Abend “real” unterwegs – was vielleicht zu viel war, mir aber eine ganze Menge “realer” Bekanntschaften brachte. Vielleicht achte ich deswegen darauf, dass ich alle meine facebook-”Freunde” schon einmal “real” getroffen habe … na gut – FAST alle – ‘ne handvoll kenne nur virtuell, dann aber nach intensiverem Video-Chat. Und so einige Leute treffe ich immer noch gerne “real”: zum Essen, Trinken, Reden, gemeinsamen Erleben …
    … und dann bin ich einmal die Woche bei einem Virtuellen Stammtisch, nur da bringt jeder seinen eigenen Verzehr mit ;-)

  3. Ich find den Artikel super. Das hast du toll geschriebenund gut rechachiert. Ich wünsch dir viel Glück damit du gewinnst :D.

  4. Pingback: Pressident hat den besten Online-Auftritt | Schülerzeitung

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